Gabriel Machemer Gabriel Machemer: Hallescher Maler mit eigener Insel
Halle/MZ - Freitags ist Badetag bei den Hühnern. Die Waschküche wird angeheizt, ein großer Waschkessel gefüllt und dann geht es ab in die Wanne. „Mit Heizen und Vorbereiten ist jede Woche jemand anders dran“, sagt Gabriel Machemer, der das Verfahren mühevoll findet, mühevoller jedenfalls als ein Vollbad in einer normalen Mietswohnung mit warmem Wasser aus der Wand. Aber gleichzeitig, sagt der 35-Jährige, „ist es viel spannender und cooler.“
Ein Abenteuer wie das ganze Unternehmen Hühnermanhattan, das der frühere Burgstudent Machemer seit 15 Jahren an wechselnden Orten betreibt. Ganz am Anfang, erinnert sich der Mann mit dem Strubbelkopf, sei er einfach „so reingestolpert“ in das Nachtklubgeschäft. Das „Hühner“, wie es die Szenegänger der Saalestadt heute meist nennen, war seinerzeit ein ganz kleiner Club in einem ehemaliger Optiker-Laden in der Innenstadt von Halle. Doch Gabriel Machemer, damals Student an der Burg, fand hier Freiräume für seine Kunst, für verrückte Installationen, schräge Ideen und kleine Konzerte.
Und er kam auf den Geschmack. Als das Hühnermanhattan 1.0 schließen musste, fand er mit Hilfe eines Förderers bei einer großen Wohnungsgesellschaft Ersatz. Das Hühnermanhattan 2.0 siedelte nun in einem Baudenkmal am Steintor, ein Stück Stein gewordene Gegenkultur ohne Seidenschleife. Hier spielten Bands, stellten Künstler aus, traf sich der hallesche Dichterkreis. Allerdings wieder ein Biotop auf Zeit, denn das Haus in bester Lage schrie geradezu nach profitabler Vermarktung. Als die Stadt eine leerstehende Schule nebenan, auf die Machemer längst einen Blick geworfen hatte, auch nur für eine begrenzte Zeit zur Verfügung stellen wollte, musste Machemer Alternativen suchen.
Beim alten Betriebsgelände der Neontechnik, das schon einige Jahre leersteht, macht es sofort klick. „Das sind 8 000 Quadratmeter mit sieben Gebäuden“, schwärmt Machemer. Der wuschelköpfige Inspirator des Unternehmens Hühnermanhattan, das seinen Namen einer zu Beginn gehaltenen Riesenhühnerart verdankt, deren Ställe ständig vergrößert werden mussten, sitzt am runden Tisch in der früheren Fabrikantenvilla, an den der Dichterkreis seine Treffen verlegt hat. Und er stöhnt noch mal beim Gedanken an die Anfänge. Höchstens zehn Prozent der Fläche sind nutzbar. Durch die Dächer ist der Himmel zu sehen. „Aber ich wusste, hier muss man viel arbeiten, dann wird das alles sehr gut.“
Machemer hat das Areal in der Nähe der S-Bahn-Gleise gekauft - finanziert durch seine Hasenbilder, die er seit Jahren über das Auktionshaus Ebay anbietet.
Natürlich gab es danach das übliche Gerangel. Die Behörden stellten Forderungen, erteilten Auflagen und verlangten aufwendige Lärmgutachten. Zwei Monate hat Machemer gebraucht, den geforderten Bauplan zu erstellen. „Ich bin in jede Kammer gekrochen und habe jeden Winkel selbst ausgemessen“, lacht er. Dank des Computerprogrammes Photoshop sei das Ergebnis dann sogar „richtig geil“ geworden. „Wie das aufgenommen wurde, das wirkte nicht gerade, als wären die froh, dass hier jemand was auf die Beine stellt“, sagt Martin Schrattenholz, einer der Aktiven im Hühnermanhattan e.V., der heute als Träger des vielleicht ungewöhnlichsten sozio-kulturellen Projektes in ganz Deutschland fungiert. Denn fünf Jahre nach dem Start brummt der Laden. Dutzende Bands haben zum Selbstkostenpreis Proberäume in der ehemaligen Industriebrache gemietet, fast jeden Tag finden Veranstaltungen vom Theater über Vernissagen bis zu Konzerten statt. Ein Tanzstudio hat sich angesiedelt, ein Orgelbauer betreibt seine Werkstatt und eine Handvoll Maler und Grafiker unterhalten in der Hordorfer Straße ihre Ateliers. Zuletzt hatten sie hintereinander die Erstsemesterparty der Uni zu Gast, das Kunstfestival Kulturprodukt und die Freiraumgalerie. Dennoch ist bis heute kein Cent Fördergeld in die Sanierung geflossen. Nicht weil sie keine hätten beantragen können. Sondern weil sie keine beantragen wollten. „Wir machen das lieber allein“, begründet Gabriel Machemer, „dann redet uns wenigstens keiner rein.“
Dem Maler, der mit elf Jahren im Schulzirkel zu zeichnen begann und heute überall auf dem Gelände seine großformatigen Bilder ausstellt, geht es beim Hühnermanhattan um Freiheit und Selbstbestimmung, um einen Ort abseits des üblichen Kulturmarketings. Für ihn ist Hühnermanhattan selbst Kunst, eine Bastel-Insel im Alltag, die Parallelwelt unbegrenzter Möglichkeiten in Zeiten, in denen Kunst und Kultur über fehlende Finanzierung klagen. „Ich habe mich einmal um eine feste Stelle beworben“, sagt der gebürtige Wolfener, „als Nachtwache an einer Tankstelle.“ Als er abgelehnt worden sei, habe er das als Zeichen genommen. „Ich versuche alles nur einmal, wenn es schief geht, mache ich es anders.“ Und so anders wie sein Erfinder ist dieses Hühnermanhattan wirklich, das Punkbands und Burgstudenten vereint, skandinavischen Hartmetallern eine Bühne bietet, aber ebenso französische DJs oder japanische Elektro-Avantgardisten auftreten lässt. „Wir müssen niemanden fragen, keinen um Spenden bitten und uns nirgendwo entschuldigen“, sagt Schrattenholz, „wir können alles probieren und sehen, was funktioniert.“
Es gibt keinen Plan, keine Terminliste, keine Großinvestitionen, keine öffentliche Anerkennung. Den Ofen für den Saal, einen Koloss namens „Kronos“, haben sie gebraucht gekauft, ebenso die alten Türen, die die Papp-Teile aus DDR-Zeiten ersetzen sollen, und das Parkett. „Alles muss gelebt haben“, sagt Machemer, „und Spuren davon zeigen“. Hauptsache, glaubt er, die Dinge fangen nicht mit Zuckerguss und Hochglanzlack an. „Man kommt wunderbar vorwärts, wenn man sich auf das Machbare beschränken muss.“ Zuletzt hat Machemer 18 uralte Registrierkassen ersteigert, ganz spontan. „Ein Euro das Stück“, sagt Gabriel Machemer, „daraus lässt sich bestimmt was Schönes machen“. Irgendwie findet hier immer zusammen, was zusammen gehört.
Wie im Hühner-Keller, in dem stets Wasser hochdrückt. Soll man dagegen kämpfen? Oder versuchen, das Problem irgendwie zu nutzen? „Jetzt stehen da unten große Tanks, in die wir alles reinpumpen“, erklärt Martin Schrattenholz. Damit werden die Toiletten gespült. „Ist einfach und spart.“
Es geht immer noch um den Spaß daran, etwas zu gestalten und schöpferisch zu sein. Das sei im Grunde genau wie beim Malen, glaubt Gabriel Machemer. Seine Hasenbilder - rund 4 800 hat er bis heute gemalt, 10 000 sollen es einmal werden - müssten ja auch nicht perfekt sein. „Nur immer ein bisschen besser werden müssen sie.“
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