Erinnerung an Halles Sinti Erinnerung an Halles Sinti : Mausoleum für berühmten "Zigeunerkönig"
Halle (Saale) - Hinter Bäumen und Büschen, von der Straße aus nicht zu sehen, versteckt sich in Halles Stadtteil Osendorf ein ganz besonderes Bauwerk, um das es eine bewegende Geschichte gibt: Die kleine Kapelle ist das einzige Gebäude, das Sinti in Mitteldeutschland erbaut haben - vor über 100 Jahren. Osendorf und Radewell waren von jeher traditionell Orte, an denen die fahrenden Sinti ihre Zelte und Wagen aufgestellt und über den Winter Quartier genommen haben.
„Die Wagen standen hier unten in der Aue, und die Kinder der Sinti gingen in Ammendorf zur Schule“, weiß Monika Habermann und zeigt auf die Landschaft, die sich hinter der Kapelle auftut. Die Ammendorferin hat jahrelang intensiv zur Geschichte der Sinti und der Kapelle in Osendorf, die als Mitteldeutschlands einziges Sinti-Mausoleum gilt, geforscht. Auf Betreiben der Ammendorfer Heimatfreunde, allen voran Manfred Döll, steht die Kapelle seit 1998 unter Denkmalschutz.
Sinti-Mausoleums in Osendorf: Nach Jahrzehnten nun soll die Kapelle eine späte Ehrung erfahren
Nach Jahrzehnten nun soll die Kapelle, der Vandalismus und der Zahn der Zeit zugesetzt haben, eine späte Ehrung erfahren: Der Verein für Zeitgeschichte, die Gedenkstätte Roter Ochse und die Stadt wollen das Denkmal retten und dort einen Ort des Gedenkens schaffen - für die 1943 in die Konzentrationslager Auschwitz und Mittelbau Dora deportierten und ermordeten Sinti.
Dabei haben sich bereits bisher historisch interessierte Anwohner wie die nahe der Kapelle wohnende Familie Gittel für den Erhalt des Bauwerks eingesetzt. Ebenso Peter Meinhart, der mit seinen Söhnen Ulrich und Thomas eine Webseite für den Ortsteil Osendorf betreibt. Auf der ist auch die interessante Geschichte der Kapelle festgehalten. Seit Jahrzehnten erzählen die Osendorfer die Geschichte vom „Zigeunerkönig“, der in einem weißen Sarg liegt.
Sinto Nauni, ein Pferdehändler und hoher Anführer der Sinti
Dabei handelt es sich um den österreichischen Sinto Nauni, ein Pferdehändler und hoher Anführer der Sinti, die als „Osendorfer Gruppe“ ihr Quartier aufschlug und im nahe gelegenen Lokal „Talschlösschen“ (heute ein Wohnhaus in der Karl-Meißner-Straße), gesellig beisammen saß. Um eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu bekommen, hatte sich Nauni wie alle Sinti einen deutschen Namen geben müssen: Josef Weinlich.
„Da ihm die Aue so gut gefiel, ließ er dort schon zu Lebzeiten die Kapelle bauen“, weiß Meinhart. 1915 starb Nauni, der Sinti-Anführer wurde in dem Eichensarg, der am Kopfende ein kleines Glasfenster hat, beerdigt. „Unter Teilnahme vieler Sinti fand die Beerdigung nach traditionellem Ritus statt“, so Meinhart. Es wurden Brot, Wein, Getreide, Silber und Gold in den Sarg gegeben, und beim Totentrunk gab es den Brauch, Bier auf den Boden zu gießen, damit es der Verstorbene unter der Erde bekomme.
Sinti-Mausoleums in Osendorf: Im Jahr 2003 besuchte eine Nachfahrin Naunis die Kapelle
Im Jahr 2003 besuchte eine Nachfahrin Naunis - einzige Überlebende der Familie, die in Holland wohnende Enkelin Anna Weinlich - die Kapelle. Nach jahrzehntelanger Suche war Anna Weinlichs Sohn Henk dank Meinharts Webseite auf die Grabstätte aufmerksam geworden. Die damals 82-Jährige war dankbar, die letzte Ruhestätte ihres Großvaters besuchen zu können. Nun will Peter Meinhart den holländischen Nachfahren Henk Weinlich per Mail über die geplante Sanierung der Kapelle informieren.
Mit der Geschichte der Sinti in Osendorf beschäftigt sich auch Simone Trieder. „Ich war entsetzt über den Zustand, als ich die vernachlässigte Kapelle gesehen habe“, so die hallesche Autorin, die für ihr Buch „Sinti in der DDR“ recherchiert. Dabei ist sie auch auf die Namen von fünf Sinti aus Osendorf gestoßen. Mit dem Verein Zeitgeschichte soll nun in Osendorf ein Erinnerungsort für Halles Sinti geschaffen werden. (mz)