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Erbe des Krieges Erbe des Krieges: Warum der Fund des Waffenlagers in Halle kein Einzelfall ist

Von Dirk Skrzypczak 07.09.2018, 08:00
Auch diese Panzerfäuste wurden aus dem Waffendepot der US-Armee in Halle geholt. Über 70 Jahre lagen sie in der Erde.
Auch diese Panzerfäuste wurden aus dem Waffendepot der US-Armee in Halle geholt. Über 70 Jahre lagen sie in der Erde. Kampfmittelbeseitigungsdienst

Halle (Saale) - In einem Kiefernwald bei Hottendorf in der Altmark endet die letzte Reise der Weltkriegsmunition. Hier befindet sich das Munitionslager und der Zerlegebetrieb des Technischen Polizeiamtes, eine der am besten gesicherten Anlagen in Sachsen-Anhalt. Zwischen 500 und 600 Tonnen Fundmunition werden hier jährlich vernichtet: Granaten, Minen, Patronen, Gewehre, Panzerfäuste und auch Bomben.

73 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Gefahr durch Blindgänger und Fundmunition nicht gebannt. „Diese Altlasten werden uns noch Jahrzehnte beschäftigen“, sagt Udo Theilemann, Sprengmeister beim Kampfmittelbeseitigungsdienst in Sachsen-Anhalt.

Granaten und Panzerfäuste

Zumeist stoßen Bauarbeiter wie jetzt in Halle auf die explosiven Hinterlassenschaften. So wurde am Weinbergcampus, dem Wissenschaftszentrum des Landes, nur 60 Zentimeter unter der Erdoberfläche ein geheimes Waffendepot der US-Armee entdeckt.

Am 19. April 1945 waren die Soldaten der 104. Infanteriedivision, die sich selbst „Timberwölfe“ nannten, in Halle einmarschiert. Sprengmeister Theilemann hält es für denkbar, dass sich die US-Truppen mehrere Munitionslager im Stadtgebiet angelegt haben. „Dafür wurden markante Punkte ausgewählt, um die Depots wiederzufinden“, sagt er.

In der Grube lagen 25 Handgranaten, mehrere hundert Schuss Infanteriemunition und sechs Panzerfäuste. Die Munition war schön geordnet, wie Björn Kampa, Chef einer privaten Kampfmittelräumfirma, berichtet. Seine Mitarbeiter waren bei der Sondierung der Baustelle auf das Depot gestoßen. Funde wie in Halle sind keine Seltenheit.

Zu einem der spektakulärsten Einsätze kam es 2006 am Flugplatz in Merseburg. Dort wurden fast 6.700 scharfe Sprenggranaten ausgegraben. „Es ist bei Kriegsende nicht selten gewesen, dass sich die Soldaten von Waffen und Munition trennten und sie verbuddelt haben. Dabei ist es egal, ob es sich um die Wehrmacht oder die Alliierten handelte“, sagt Theilemann. Manches Kriegsgerät wurde auch in Teichen versenkt und taucht bei der Sanierung der Gewässer auf.

Erst vor einem Jahr sorgte ein Munitionsfund im Oberharz für Schlagzeilen. Selbst die Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes waren seinerzeit von der Masse überrascht: 170 Kilogramm Munition lagen im Wald, aufgestöbert von einem Wanderer. Darunter war eine Splittergranate mit 400 Gramm Sprengstoff. Sie hätte bei einer Explosion tödliche Verletzungen in einem Umkreis von mehreren hundert Metern verursachen können. „Die Munition wird gefährlicher, je länger sie im Boden liegt. Sprengstoff verrottet nicht“, sagt Theilemann.

Das Erbe der Sowjets

Doch es ist nicht nur das explosive Erbe des Zweiten Weltkriegs, das den Kampfmittel-Räumern zu schaffen macht. Auch der Umgang mit den gefährlichen „Andenken“ an die sowjetischen Besatzungstruppen ist eine Aufgabe für Generationen. „Als die Russen 1991 aus Halle abzogen, haben wir in der Kaserne noch sechs Tonnen Munition geborgen, zumeist Granaten. Sie hatten sie einfach dagelassen“, sagt Jürgen Schmidt, bis 2016 Truppführer beim Kampfmittelbeseitigungsdienst.

Er alleine hat in 20 Jahren im Raum Halle 100 Bomben entschärft. Und auf dem einstigen Truppenübungsplatz der Sowjetarmee in der Oranienbaumer Heide ist das Gelände derart belastet, dass an eine zivile Nutzung nicht zu denken ist. Und niemand kann sagen, ob und wann alle Kampfmittel einmal geborgen sein werden.

Südlich von Halle ist die Gefahr durch Kampfmittel am größten. Zum Ende des Weltkriegs hatten die Alliierten massive Luftangriffe auf den Chemiestandort Leuna geflogen. Tausende Bomben wurden abgeworfen. Experten gehen davon aus, dass zehn Prozent nicht explodiert sind. „Auf uns wartet noch viel Arbeit“, sagt Theilemann. Wie viele Munitionsverstecke es noch gibt, vermag der Sprengstoffexperte hingegen nicht zu schätzen. (mz)