DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Frauen wurden in Poliklinik in Halle misshandelt
Halle (Saale)/MZ - Vieles ist noch schrecklicher als bislang bekannt: Die geschlossene Abteilung für Geschlechtskrankheiten in der auch „Tripperburg“ genannten ehemaligen Poliklinik Mitte war in den 70er Jahren wie ein Gefängnis mit psychischer und körperlicher Folter. Dort sollten Frauen mit Gewalt und Medikamenten gefügig gemacht werden, die dem DDR-System widersprachen.
Mehrfach hatte die Mitteldeutsche Zeitung 2012 und 2013 über Schicksale von Opfern berichtet, die dort wegen angeblicher Geschlechtskrankheiten behandelt wurden. Sie berichteten von brutalen Untersuchungsmethoden, kahlgeschorenen Köpfen und Schlafen auf dem Hocker als eine von vielen Strafen. Nun wird die dunkle Geschichte dieser Einrichtung erstmals wissenschaftlich untersucht.
"Der düsterste Strafvollzug könnte nicht ärger sein"
„Die Abteilung war ein in sich geschlossenes totalitäres System, in dem Macht ausgeübt worden ist. Die Stasi ging dort ein und aus“, sagt Prof. Florian Steger, der als Direktor des Uni-Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin jetzt die Geschichte der Abteilung. „Der düsterste Strafvollzug könnte nicht ärger sein“, so der Wissenschaftler. Sogar Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 14 Jahren seien dort misshandelt worden. Ebenso viele Frauen: Sie wurden mit Fieberspritzen gequält und bei Untersuchungen des Intimbereichs wurde äußerst brutal vorgegangen.
Angestoßen wurde das Projekt von der Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen, Birgit Neumann-Becker, die die Forschung von Steger auch finanziert. „Diese geschlossenen Abteilungen gehören zu den blinden Flecken in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte und werden nun erstmals aufgearbeitet“, sagt Neumann-Becker. Denn nicht nur in Halle, sondern auch in Berlin, Leipzig, Rostock und wahrscheinlich in weiteren Städten gab es solche Einrichtungen, weiß Steger. Ob sich das Forschungsprojekt auf alle diese geschlossenen Abteilungen in der DDR erweitern lässt, dazu sei man auch im Gespräch mit den anderen Landesbeauftragten, erklärt Neumann-Becker.
"Vielleicht schaffen wir es zumindest, eine Gedenktafel anzubringen"
Zunächst geht es aber um Halle. Steger plant Interviews mit den rund zwanzig Zeitzeugen, die sich auf die Berichte in der MZ hin bei der Stasi-Behörde in Magdeburg gemeldet haben. „Alle von ihnen waren zu Gesprächen bereit“, berichtet er. Die ersten Interviews hat der Medizinhistoriker bereits geführt - und ist erschüttert über das Schicksal der Frauen: „Bei jedem Zeitzeugeninterview erfährt man eine neue Schreckensgeschichte.“ So etwa von privilegierten Patienten, die Macht über andere hatten.
Oder aber vom fehlenden Widerstand der Mitarbeiter oder der Angehörigen, die der zwangsweisen Unterbringung der Frauen nichts entgegengesetzt haben. „Alles, was wir bisher gehört haben, hat nichts mit einer regelkonformen, fürsorglichen medizinischen Behandlung zu tun“, fasst Steger zusammen. Mit seinem Mitarbeiter Maximilian Schochow ist Steger auch auf der Suche nach Unterlagen der geschlossenen Abteilung, die als verschollen oder vernichtet gelten. Aber hier hofft der Forscher auf Bestände in bisher nicht berücksichtigten Archiven. Ganz wichtig ist ihm auch, weitere Zeitzeugen zu finden.
Und er möchte die Erinnerung an die Menschen wachhalten, die in der ehemaligen Poli Mitte festgehalten und misshandelt worden sind. Sei es, dass an dem seit Jahren leer stehenden Bau eine Gedenkstätte eingerichtet wird oder Führungen organisiert werden. „Vielleicht schaffen wir es zumindest, eine Gedenktafel anzubringen“, sagt Steger. Im April sollen erste Forschungsergebnisse öffentlich gemacht werden.
Betroffene und andere Zeitzeugen können sich melden unter:
Tel.: 0345/5 57 35 50
oder per Mail an: [email protected]