Bahnhof Bahnhof: Brücke wippt über den Platz
Halle/MZ. - Wer am Sonnabend, der Ankündigung folgend, pünktlich 12 Uhr sehen wollte, wie eine der Bahnhofsbrücken in die Luft geht, der hatte Pech. Denn zu diesem Zeitpunkt lag die erste Überführung schon auf dem Vorplatz. Ein Beinbruch war das indes nicht. Knapp drei Stunden später kamen ein paar hundert Neugierige noch einmal auf ihre Kosten. Denn dann wippte Nummer zwei am Kranhaken über den Platz - ganze fünf Stunden früher als geplant.
Projektleiter Jürgen Minschke vom Deutsche Bahn Netz freut es. "Jetzt müssen wir uns nicht überschlagen mit dem Zerlegen und Abtransportieren der Brückenteile." Und außerdem könne auf die für den Abend geplante zweite Sperrung des Fußgängerweges gen Ost verzichtet werden. "Den Sachsen sei Dank, dass sie den halleschen Bahnhof so gut im Griff haben." Der freche Spruch richtet sich an die Sächsische Bau GmbH. Die Mitarbeiter des Generalauftragnehmers wuseln überall rum, wo es an diesem Nachmittag zischt, funkt und knallt. Und sie haben Verstärkung aus Dresden und Freital dabei. Selbst die Container-Lkw, die die zerlegten Brückenteile abholen, haben in Sachsen ihre Garagen - netterweise aber auch einen Sitz in Halle. Und da soll letztlich auch der Schrott bleiben, laut Minschke.
Apropos Schrott. Aus selbigem sollen die östlichen Bahnhofsbrücken vor allem bestehen. Kein Wunder auch, haben sie doch über 90 Jahre auf dem Buckel. Klaus-Peter Herbarth von der Hastra hat sich das erste abmontierte Brückenteil genauer angesehen und fast noch mehr graue Haare bekommen. "Die Dinger sind so marode, dass in absehbarer Zeit ein Zug auf der Delitzscher Straße gelegen hätte", spitzt er zu. Höchste Zeit sei es, dass die Brücken ersetzt würden. Im Mai werde der erste Zug über eine neue Brücke rollen. Und im nächsten Frühjahr sei die komplette östliche Überführung fertig.
So weit der Blick in die Zukunft. An diesem Nachmittag interessiert die Hallenser indes mehr, wann, wie und wohin die zweite Brücke fliegt. In Familie ist man nach dem Mittagessen erschienen, hat Kameras und Fotoapparate dabei. "Wann geht es denn nun endlich los", mault ein Knirps seine Großeltern an und verstummt gleich darauf. Denn es folgt eine Nummer, die fast zirkusreif ist. Per Schneidbrenner wird gegen 14 Uhr die zweite Brücke genau in der Mitte geteilt. Dazu turnen zwei Arbeiter in acht Metern Höhe über die Brückenbogen. Ein Funkenregen ergießt sich über die Delitzscher Straße. Ein paar unverbesserliche Fußgänger, die die gesperrte Baustelle ignorierten, wollen einen Bogen schlagen - und werden zurück gescheucht. Schließlich wartet ein Bus-Shuttle vor dem Zaun, um sie sicher zum Bahnhofsvorplatz zu bringen. Minuten bevor die alte Brücke ihr Leben aushaucht, schnüren zwei Arbeiter noch Werbetafeln für ihre Firma ans Geländer - so viel Zeit muss sein. Zeit für ein Käffchen nehmen sich jetzt auch die beiden Kranführer. Sie hocken in einer Kabine zusammen und löffeln nach den Schlucken aus der Thermoskanne genüsslich auch noch einen Jumbo-Joghurtbecher leer.
Dann gibt es ein unüberhörbares Knarren. Kurz vor drei Uhr ist es, als die Brücke geräumt wird. Die rechte Hälfte quietscht und schiebt sich in die Höhe. Dann baumelt sie eine Weile über dem Bahnhofsvorplatz, bevor sie in der Baulücke abgelegt wird, durch die später einmal Straßenbahnen fahren sollen. Eben überquert der Zug nach Magdeburg die Delitzscher Straße unmittelbar neben der Baustelle. Die Blicke der Reisenden am Fenster sprechen für sich. Vor sich sehen sie eine wie von Geisterhand gehalten halbe Brücke. Fünf Minuten später ist auch die weg.