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Anschlag in Halle Opfer des Halle-Attentats: „Für mich ist der Terror nie vorbei“

Im MZ-Interview spricht die jüdische Philosophin und Historikerin Christina Feist darüber, wie der Anschlag von Halle sie verändert hat und was sie sich wünscht.

Von Alexander Schierholz Aktualisiert: 09.10.2024, 10:52
Seit dem Attentat in Halle erlebt Christina Feist immer wieder Panikattacken.
Seit dem Attentat in Halle erlebt Christina Feist immer wieder Panikattacken. (Foto: dpa)

Halle (Saale)/MZ - Christina Feist (34) hielt sich am 9. Oktober 2019 während des antisemitischen Anschlags in der halleschen Synagoge auf. Im MZ-Gespräch schildert die jüdische Philosophin und Historikerin, wie das Attentat sie verändert hat.

Frau Feist, wie geht es Ihnen fünf Jahre nach dem Anschlag?

Christina Feist: In den Tagen vor dem 9. Oktober geht es mir meistens nicht gut. Ich bin unruhig und unkonzentriert, ich schlafe schlecht und reagiere deutlich schreckhafter auf spontane laute Geräusche. Und ich bin anfälliger für Panikattacken, die ich seit dem Attentat immer wieder erlebe. Ich lebe seither mit einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Wie äußert sich das?

Während der Panikattacken erlebe ich den Tag des Attentats noch einmal, es ist ein komplettes Wiedererleben. Der Körper vergisst ein solches Trauma nicht. Für mich ist der Terror nie vorbei. Das schränkt mich in meinem Alltag und in meinem Berufsleben total ein. Ich habe im vergangenen April meine Promotion abgeschlossen, nach sieben statt nach vier Jahren. Ich steckte schon mittendrin, dann passierte der Anschlag.

Wie gehen Sie mit der Belastung um?

Ich habe wenige Wochen nach dem Anschlag eine Therapeutin gefunden, die mich bis heute begleitet. Ansonsten hilft mir reden, reden, reden. Ich bin in jedem Jahr in den Wochen vor dem Anschlag viel unterwegs, spreche auf Veranstaltungen oder gebe Interviews. Ich empfinde es als großes Privileg, über das Geschehene sprechen zu können. Zugleich ist das ist eine Verantwortung, weil ich damit auch anderen Betroffenen eine Stimme geben kann, die es heute noch nicht schaffen, selbst darüber zu sprechen.

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(Foto: imago images/epd)

Werden Sie auch gehört?

Definitiv zu wenig. Mein Eindruck ist, und das höre ich auch von anderen Opfern rechter Gewalt, nicht nur in Halle, sondern auch in Hanau oder anderswo: Wir sind aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden, es hat sich eine Gleichgültigkeit breit gemacht. Wir sind nicht mehr sichtbar.

Was würden Sie sich konkret wünschen?

Um den Jahrestag herum gibt es immer viele Veranstaltungen, bis hin zur offiziellen Gedenkfeier. Das Problem ist, dass solche offiziellen Termine in der Regel nicht betroffenenzentriert sind. Wichtig sind Veranstaltungen, mit denen wir selbst einen Raum bekommen, wo wir uns äußern können.

Bei der offiziellen Gedenkstunde der Stadt sollen auch Betroffene sprechen. Ist das zu wenig?

Ja. Dort dominiert die Politik. Was es braucht, sind eigene Bühnen, auf denen die Betroffenen im Mittelpunkt stehen. Neulich war ich auf solchen Podien in Regensburg und Rosenheim. Am 9. Oktober findet eine Solidemo in Berlin statt. Leider erreicht man damit in der Regel nur die, die man immer erreicht, nicht die Breite der Gesellschaft.

Wäre dann eine Solidemo mit Stimmen der Betroffenen am Ort des Geschehens in Halle nicht sinnvoller?

Die wird es sicher auch geben, und das ist auch richtig so. Aber nicht alle wollen nach Halle fahren.

Wie sind Staat und Gesellschaft aufgestellt im Kampf gegen Antisemitismus?

Ich lebe mittlerweile in Paris, ich kann das also nur aus der Ferne verfolgen. Aber mein Eindruck ist: katastrophal. Deutschland hatte im Oktober 2019 ein Antisemitismusproblem, Deutschland hat es seit dem Überfall der Hamas auf Israel vor einem Jahr noch mehr. Aber es passiert nichts. Die Parole „Nie wieder ist jetzt!“ ist für mich eine leere Formel.

In Berlin hat die Generalstaatsanwaltschaft nach dem Überfall auf den in Sachsen-Anhalt aufgewachsenen jüdischen Studenten Lahav Shapira Anklage gegen den mutmaßlichen Täter erhoben. Ist das kein ermutigendes Zeichen?

Doch, das ist fantastisch. Allerdings heißt das noch lange nichts. Damit ist noch kein Urteil gesprochen.