MZ-Serie zum Anschlag von Halle - Teil 2 Mit Video: Rabbinerin war in der Synagoge: „Ich gebe dem Täter keine Plattform“
Die US-Amerikanerin Rebecca Blady war Zeugin des Anschlags am 9. Oktober 2019 in Halle. Die schrecklichen Ereignisse will sie mit einem Festival verarbeiten.
Halle (Saale)/MZ - Rebecca Blady schüttelt den Kopf. Über die schrecklichen Ereignisse am 9. Oktober 2019 will sie nicht reden. Mit jungen Studenten aus Berlin war sie zur Anschlagszeit in der Synagoge in Halle, hat die Todesangst gespürt. „Ich möchte das Trauma nicht noch einmal durchleben. Und ich will dem Täter keine Plattform geben. Ihm nicht. Und anderen Terroristen auch nicht“, sagt die 33-Jährige.
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Anschlag in Halle 2019: Rabbinerin aus der Synagoge organisiert Festival zum 9. Oktober
Blady blickt nach vorn und nicht zurück. „Uns wurde klar, dass eine Mission, die wir als jüdische Gemeinschaft haben, der Einsatz für Demokratie und Schutz aller Minderheiten ist, die von dem ideologischen Hass getroffen werden, der auch den Attentäter von Halle zu seiner Tat motiviert hat“, sagte sie der „Jüdischen Allgemeinen“.
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Seit 2020 organisiert Blady als Antwort auf den Anschlag mit der Studentenvereinigung „Hillel Deutschland“ das „Festival of Resilience“. Es gehe darum, nach dem Attentat weiterzumachen, „das Leben mit Stärke weiterzuführen“.
Nach Anschlag am 9. Oktober in Halle: Rabbinerin sieht Antisemitismus weiter als Problem
Rebecca Blady ist US-Amerikanerin, verheiratet und hat zwei Kinder. Geboren ist sie in New York. In Massachusetts studierte sie Journalismus und Politik, wollte Reporterin werden. Doch in einem Büro zu sitzen und nur über Menschen zu schreiben, war ihr zu wenig. Sie will Menschen begleiten. „Deshalb bin ich Rabbinerin geworden.“ Sie habe nun gewusst, was sie tun wolle: Junge Juden an ihre jüdische Identität heranführen, ihnen Texte und Riten näherbringen „und so gleichzeitig die Gesellschaft stärken“.
Mit ihrem Mann, ebenfalls Rabbiner, lebt sie seit 2016 in Berlin. Antisemitismus sei ein großes Problem, meint Blady. Und das nicht erst seit dem Terror in Halle. „Ein anderes Problem ist die Sichtbarkeit. Es braucht ein grundlegendes Verständnis der deutschen Gesellschaft dafür, dass die jüdische Gemeinde ein Teil von ihr ist und dass sie dieser Gesellschaft auch viel gibt.“
„Festival of Resilience“ im Oktober auch in Halle
Sichtbarkeit. Widerstand gegen Hass und Diskriminierung. Das „Festival of Resilience“ soll Brücken auch unter unterschiedlichen Kulturen bauen. „Wir können als jüdische Gemeinde Verbündete im Kampf gegen jede Form von Menschenverachtung sein“, sagt sie. Das Festival wird in diesem Jahr vom 27. September bis zum 12. Oktober organisiert. Es beginnt in Berlin mit der Erinnerung an das Attentat von Halle. Musiker spielen, Überlebende können die Bühne nutzen, um ihre Geschichten zu erzählen. Vom 4. bis 10. Oktober kommt das Festival dann nach Halle.
Geplant sind eine Sukkot-Party in der jüdischen Gemeinde und am 10. Oktober eine Buchlesung im Tekiez. Dort wird Blady mit der Autorin Laura Gazes über das Buch „Sicher sind wir nicht geblieben“ sprechen, in dem zwölf jüdische Autoren ihre Sicht auf das Leben in Deutschland und das Jüdischsein beschreiben. Menschen anderer Glaubensrichtungen sind dazu willkommen.
Anschlag in Halle 2019: Nicht vor der Angst fliehen
Blady und ihre Familie haben sich nach dem Anschlag bewusst dafür entschieden, hierzubleiben. „Wir hatten tatsächlich darüber nachgedacht, das Land zu verlassen.“ Doch die Angst hat nicht die Oberhand gewonnen. „Nach dem Attentat habe ich verstanden, wie ich diese schlimme Erfahrung nutzen kann, um meinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Ich habe erkannt, was ich der Gesellschaft geben kann.“ Das ist in erster Linie Bildung.
Ihre Großmutter, die das Konzentrationslager Auschwitz und die Zwangsarbeit überlebte, habe immer zu ihr gesagt: Bildung sei das Einzige, was dir niemand wegnehmen könne. Und so sei das Festival auch dafür gedacht, den Opfern die Kontrolle über die Jahrestage des Anschlags zu geben. Und eben nicht den Rechtsextremisten.
MZ-Serie: Der 9. Oktober 2019 in Halle und seine Folgen
Vor vier Jahren richtete ein rechtsextremer Täter aus Judenhass in Halle und dem Saalekreis ein Blutbad an, bei dem zwei Menschen starben. In einer elfteiligen Serie der MZ und des Landesnetzwerks der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt (Lamsa) lässt die MZ bis zum 7. Oktober Zeitzeugen zu Wort kommen. Ob und wie hat der Anschlag die Stadt verändert?
Mit großen Bodenaufklebern wird die Serie begleitet. Sie sind zu finden: an der Synagoge, in der Ludwig-Wucherer-Straße, am Bahnhof, dem Steintor, auf dem Riebeckplatz, in der Leipziger Straße, rund um den Markt und in Merseburg am Entenplan. Auf die Aufkleber ist ein QR-Code gedruckt.
Passanten, die ihn mit dem Handy scannen, sehen kurze Videos, in denen die Zeitzeugen ihre Erlebnisse am und und um den 9. Oktober schildern. Der erste Aufkleber ist an der Synagoge, der zweite am Tekiez in der Ludwig-Wucherer-Straße. Pro Tag kommt ein weiterer hinzu.
Im dritten Teil geht es um die Studentin Lisa Ebert, die gegenüber der Synagoge in Halle wohnt.