MZ-Serie zum Anschlag von Halle - Teil 10 Mit Video: Lehren des 9. Oktober - so reagiert die Polizei auf Falschmeldungen im Netz
Bei Amoktaten und Anschlägen setzt die Landespolizei auf Live-Krisenkommunikation im Netz: auch um Gerüchte und Fakenews zu bekämpfen.
Halle (Saale)/MZ - Obwohl der Attentäter schon längst in Handschellen war, rissen die Schreckensmeldungen am 9. Oktober 2019 in Halle nicht ab. In privaten Whatsapp-Chats warnten sich Familien gegenseitig vor einer angeblichen Geiselnahme in einem Edeka-Markt, andere fürchteten sich vor vermeintlichen Schüssen im Stadtteil Ammendorf.
Wegen solcher Horrormeldungen – verbreitet über Handy-Chats und soziale Internet-Netzwerke – gab auch die Polizei lange keine Entwarnung. Erst am Abend, Stunden nach der Festnahme des Einzeltäters, kam die erlösende Nachricht an die Bevölkerung: Alle Gefahr ist gebannt.
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Nach Anschlag in Halle 2019: Polizei kämpft gegen Fake News im Internet
Zwar ist es für Polizeibehörden nichts Neues, dass sich während unübersichtlicher Terroreinsätzen auch schnell Gerüchte und Falschmeldungen in der Bevölkerung verbreiten können – in den großen Digitalnetzwerken wie Whatsapp, Instagram und X (früher Twitter) verbreiten sich diese „jedoch deutlich schneller als auf traditionellen Kommunikationswegen“, erklärt Karina Wessel aus Sachsen-Anhalts Innenministerium.
Ein Knackpunkt für die Polizei: Über die sozialen Netzwerke melden Bürger auch häufiger Beobachtungen, „die sie möglicherweise in einem anderen Fall nicht gemeldet hätten“, so Wessel.
Im Klartext: Im laufenden Terroreinsatz sieht sich die Polizei plötzlich auch mit einer Flut von Meldungen konfrontiert. Oft ist unklar, was stimmt und was nicht. Wessel erklärt, die Polizei wolle in solchen Extremlagen möglichst schnell – quasi live – in die Internetdiskussionen eingreifen. „Aufgabe der Polizei ist es, zügig und professionell Fakten von Falschmeldungen zu unterscheiden und einsatztaktisch darauf zu reagieren“, sagt Wessel.
Dafür setze die Polizei eigens geschulte Kräfte ein. „Soweit erforderlich und der Situation angemessen, stellt die Landespolizei Falschmeldungen in den von ihr genutzten sozialen Medien richtig.“ Der Sinn hinter den Korrekturen: Die Bevölkerung soll möglichst schnell beruhigt werden. Zudem stören Falschmeldungen die laufende Ermittlungsarbeit.
Terror am 9. Oktober: Polizei Halle gibt Entwarnung auf Twitter
Am 9. Oktober 2019 griff die Polizeiinspektion Halle deshalb aktiv in Internetdebatten ein und schrieb 15.47 Uhr bei Twitter: „Es gab Spekulationen über eine Geiselnahme im Edeka in der Südstadt. Dies können wir nicht bestätigen!“ Und dazu die Aufforderung an die Bevölkerung:
„Bitte bewahren Sie Ruhe und glauben Sie keinen Gerüchten und Falschmeldungen. Das unüberlegte Teilen erschwert uns die Arbeit.“ Und als die Notruf-Telefonleitungen am Anschlagstag überlastet waren, twitterte die Polizei: „Bürger mit allgemeinen Nachfragen können die 115 wählen. Bitte nutzen Sie nicht den Notruf, wenn es sich nicht um einen Notfall handelt!“
Polizei Halle: Bürger sollen keine Gerüchte verbreiten
Der Tag des Halle-Anschlags habe laut Wessel in den Behörden das Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig minutengenaue Krisenkommunikation im Netz ist. Die Polizei müsse „möglichst schnell Gelegenheit haben, die Lage darzustellen“ – dazu nutze sie aktuell vor allem X und Instagram.
In Extremlagen solle mit schnellen, präzisen Reaktionen im Netz „Vertrauen in die Arbeit und die Glaubwürdigkeit der Polizei“ gewährleistet werden. Wenn nötig, gebe die Polizei auch Verhaltenshinweise. Wie am 9. Oktober, als die Polizei Hallensern riet, zu Hause zu bleiben und twitterte: „Es kursieren verschiedene Bilder und Videos im Internet. Bitte verbreitet diese nicht weiter. Hinweise, Bilder und Videos bitte an unser Hinweisportal!“
Bleibt die Frage: Wie umgehen mit massenhaft Gerüchten im Netz, die sich später als falsch entpuppen? Eine bessere Antwort als 2019 gibt es im Grunde nicht. Die Polizei setze auf „kontinuierliches Monitoring sozialer Medien“ und kompetentes Prüfen und Bewerten, so Wessel. Im Zweifel bleibt der Polizei aber wieder nur der Appell an die Bevölkerung: Bitte verbreiten Sie keine Gerüchte.
MZ-Serie: Der 9. Oktober 2019 und seine Folgen
Vor vier Jahren richtete ein rechtsextremer Täter aus Judenhass in Halle und dem Saalekreis ein Blutbad an, bei dem zwei Menschen starben. In einer elfteiligen Serie der MZ und des Landesnetzwerks der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt (Lamsa) lässt die MZ bis zum 7. Oktober Zeitzeugen zu Wort kommen. Ob und wie hat der Anschlag die Stadt verändert?
- Wunde, die nie heilt: Zeitzeugen sprechen über Terror am 9. Oktober in Halle
- Mit Video: Todesangst in Synagoge am 9. Oktober 2019 - „Als es knallte, blieb die Zeit stehen“
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- Mit Video: Vier Jahre nach dem Terror - Niemals ohne Kevin
- Mit Video: Angst nach Terror - „Es gibt nicht nur Judenhass“
Mit großen Bodenaufklebern wird die Serie begleitet. Neun sind in der Innenstadt bereits zu finden: an der Synagoge, am Tekiez in der Ludwig-Wucherer-Straße, am Steintor, am Hauptbahnhof, auf dem Riebeckplatz, dem oberen Boulevard, vor der Ulrichskirche, am Leuna-Chemie-Stadion und am Entenplan in Merseburg sowie im Kleinschmieden am Markt.
Auf die Aufkleber ist ein QR-Code gedruckt. Passanten, die ihn mit dem Handy scannen, sehen kurze Videos, in denen die Zeitzeugen ihre Erlebnisse am und um den 9. Oktober schildern. Der Aufkleber zum zehnten Teil wird an der Marktkirche platziert.
Im letzten Teil geht es um Stimmen von Hallensern und ihre Eindrücke vom 9. Oktober.