MZ-Serie zum Anschlag von Halle - Teil 3 Mit Video: Lisa Ebert wohnt an der Synagoge: „Ich hätte das Opfer sein können“
Lisa Ebert ist neben der Synagoge in Halle aufgewachsen, doch Berührungspunkte mit jüdischem Leben hatte sie lange nicht. Das änderte sich nach dem Attentat.
Halle (Saale)/MZ - Die Geschichte jüdischen Lebens in Halle reicht bis ins Mittelalter zurück. Doch welche Orte in der Stadt erzählen diese Geschichte? Und wie steht es um das jüdische Leben hier und heute? Damit haben sich junge Hallenserinnen und Hallenser beschäftigt, haben recherchiert. Entstanden ist daraus schließlich eine digitale Stadttour. Eine der Mitwirkenden war Lisa Ebert.
Anschlag in Halle 2019: Junge Frau aus Halle hatte vorher keine Kontakt mit jüdischem Leben
Seit sie ein Jahr alt ist, wohnt die 18-Jährige direkt neben der Synagoge in Halle. „Unser Hinterhof grenzt an die Synagoge. Von meinem Zimmer aus sehe ich das Dach des Gebäudes.“ Doch viele Jahre lang blickte die Hallenserin lediglich hinüber, ohne dass sie selbst einmal in dem jüdischen Gotteshaus war.
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Mit der Mauer drumherum wirkte das Gelände auf sie geschlossen, erzählt sie. „Da konnte man nicht einfach reinspazieren.“ So war sie das erste Mal erst nach dem Anschlag von Halle in der Synagoge.
Terror am 9. Oktober in Halle: Anwohnerin während Anschlag im Urlaub
Beim Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019 war Lisa Ebert nicht in der Stadt, sondern mit ihrer Familie im Urlaub in Italien. Sie erinnert sich, wie sie mit ihrer Mutter in einem Café saß und beide Urlaubsfotos verschickt haben. Plötzlich seien von ganz vielen Leuten Nachrichten gekommen. „Sie fragten: Ist alles okay? Wo seid ihr? Dann ging es auch im Klassenchat los.“
Lisa Ebert erfuhr, dass in der Nähe ihrer Haustür eine Frau erschossen wurde, sie bekam auch die Gerüchte mit, die schnell die Runde machten. Fern von Halle hätten sie auf ihre Handys gestarrt. „Man wurde rein gesaugt.“ Ihre Eltern hätten schließlich gesagt:
„Handys aus!“ Wenige Tage nach dem Anschlag waren die Eberts wieder zu Hause. Vor der Synagoge, in ihrer Nachbarschaft, ist Jana L. erschossen worden. Lisa Ebert erzählt, dass ihr der Gedanke kam, „dass wir diese Person hätten sein können“. Außerdem habe sie nach dem Anschlag festgestellt: „So wirklich viel weiß ich nicht über jüdisches Leben.“
Sie wurde auf das gemeinsame Projekt der Freiwilligen-Agentur und des Zeit-Geschichten-Vereins aufmerksam und machte mit, die anderen daran beteiligten jungen Menschen kannte sie vorher nicht. Sie ist froh über das Hintergrundwissen, das sie im Zuge ihrer Mitarbeit über jüdisches Leben dazugewonnen hat. So sagt sie: „Das Judentum lebt nicht davon, dass es verfolgt wird.“
Jüdisches Leben in Halle: Projekt mit Ehrenamtspreis ausgezeichnet
Im November 2022 wurde das Jugend-Projekt „Jüdisches Halle - gestern und heute“ mit dem Ehrenamtspreis für jüdisches Leben in Deutschland ausgezeichnet. Laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigten die Preisträger, „dass Halle trotz des schrecklichen Anschlags eine offene und vielfältige Stadt ist“. Mit dem interaktiven Stadtrundgang würden sie nicht nur Wissen über jüdisches Leben in Halle vermitteln, „sondern auch viele fruchtbare Begegnungen schaffen“.
Um die Tour zu absolvieren, braucht es die kostenlose „Actionbound-App“. Der Rundgang dauert etwa zwei Stunden, es kann aber auch ein einzelner Abschnitt absolviert werden. „Ich finde toll daran, dass es für junge Leute geeignet ist“, sagt Lisa Ebert. Und sie findet es wichtig, dass Leute sich mit jüdischem Leben beschäftigen.
Ihr selbst seien vorher Stolpersteine nicht aufgefallen, „jetzt bleibe ich stehen, ich nehme das wahr“. Sie findet auch wichtig, dass in Erinnerung behalten wird, dass einige Kaufhäuser am Markt in Halle einst jüdische Eigentümer hatten. Zur Mauer an der Synagoge und den Überwachungskameras sagt sie: „Es ist so traurig, dass das notwendig ist.“
Lisa Ebert ist nach dem Abi in die Niederlande gegangen, wo sie derzeit den europäischen Freiwilligendienst an einer Grundschule absolviert. Sie kann sich gut vorstellen, Lehrerin zu werden.
MZ-Serie: Der 9. Oktober und seine Folgen
Vor vier Jahren richtete ein rechtsextremer Täter aus Judenhass in Halle und dem Saalekreis ein Blutbad an, bei dem zwei Menschen starben. In einer elfteiligen Serie der MZ und des Landesnetzwerks der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt (Lamsa) lässt die MZ bis zum 7. Oktober Zeitzeugen zu Wort kommen. Ob und wie hat der Anschlag die Stadt verändert?
Mit großen Bodenaufklebern wird die Serie begleitet. Zwei sind bereits zu finden: an der Synagoge und am Tekiez in der Ludwig-Wucherer-Straße. Auf die Aufkleber ist ein QR-Code gedruckt. Passanten, die ihn mit dem Handy scannen, sehen kurze Videos, in denen die Zeitzeugen ihre Erlebnisse am und um den 9. Oktober schildern. Der Aufkleber zum dritten Serienteil wird am Mittwoch am Steintor aufgebracht. Pro Tag kommt ein weiterer hinzu. Auch am Entenplan in Merseburg wird es einen Aufkleber geben.
Im vierten Teil geht es um die TikTokerin Susanne Siegert aus Leipzig, die sich mit Antisemitismus und dem Holocaust befasst.