Annett Krägermanns "Kaffee Fleck" Annett Krägermanns "Kaffee Fleck": Wie in Omas guter Stube

Halle (Saale) - Ob hier eine Familie wohl einfach vergessen hatte, ihre Tür abzuschließen? Kaum drin in der gemütlichen Stube, blieb am Anfang auch mal ein Kunde verblüfft im Raum stehen. „Dann kam eine Entschuldigung, dass sie eigentlich das Café gesucht hatten und nicht in meinem Wohnzimmer landen wollten,“ sagt Annett Krägermann, die in der Hackebornstraße ihr „Kaffee Fleck“ betreibt. Ganz abwegig erscheint dieser erste Eindruck nicht. Gleich am Eingang, im Damenzimmer, steht ein gemütliches Sofa samt Kopfkissen, auf dem Tisch steht gutes Porzellan und in der Ecke hängt „Das Schokoladenmädchen“ von Jean-Étienne Liotard.
Im Elfenkostüm hinter der Theke
Annett Krägermann balanciert Kaffee und heiße Schokolade im Herrenzimmer am geschmückten Weihnachtsbaum vorbei. „Es ist nicht so, dass wir uns davon nicht trennen können, aber eine Kundin feiert hier morgen ihren Geburtstag und hat sich gewünscht, dass die Weihnachtsdekorationen bis dahin noch bleiben.“ Kleine Extrawünsche kann die gelernte Maschinistin ihren Gästen nicht abschlagen, für die gelungene Weihnachtsstimmung stand sie auch schon im Elfenkostüm hinter der Theke.
Es sieht so aus, als müsste das kleine Café schon seit Jahrzehnten gewachsen sein. Im Herrenzimmer stehen Grammophon und eine Sitzgruppe aus dem Wiener Barock, im selbstgebauten Regal reihen sich gerahmte Fotoaufnahmen aus den 40er und 50er Jahren aneinander: „Auf diesen beiden ist meine Schwiegermutter zu sehen“, sagt Annett Krägermann, „bald sollen auch Fotos von meiner Mutter dazukommen“.
Die Idee, ein eigenes Café zu eröffnen, gab es schon lange - allerdings nicht von der 44-Jährigen selbst. „Bis vor wenigen Monaten habe ich überhaupt nicht gebacken,“ sagt sie, „das hat lieber mein Lebensgefährte übernommen.“ Und von ihm stammte auch der Traum vom Café. Als Feuerwehrmann hatte er seine Berufung allerdings schon gefunden. Im Jahr 2014, als Annett Krägermann beschloss, dass sie am liebsten ihr eigener Chef wäre, war schnell klar, wie die beiden Wünsche zusammenfinden könnten. Innerhalb eines Jahres suchten sie gemeinsam Möbel aus, kauften Lampen und Uhren, alte Telefone und Kaffeemühlen, oft aus Haushaltsauflösungen oder über Anzeigen im Internet. Die Stofftapete im Herrenzimmer erinnert das Paar an einen Besuch in Sanssouci, das Inventar haben sie sich in ganz Deutschland zusammengekauft.
Anlaufstelle für alle Altersgruppen
Seit der Eröffnung im November 2014 ist das Café Anlaufstelle für alle Altersgruppen geworden, von Studenten, sie sich „wie bei Oma“ fühlen, bis zur 92-Jährigen. Um eine offene Gesprächskultur auch zwischen Unbekannten zu fördern, gibt es im „Kaffee Fleck“ keine Zweier-Tische, lieber soll es den Gästen möglich sein, sich in einer Runde auszutauschen, beim Frühstück, einem Snack oder natürlich bei Kaffee und Kuchen. „Seitdem ich das Café führe, backe ich richtig gern - und ich experimentiere mit Neuem“, sagt sie. Zwei bis drei Kuchen bäckt sie pro Tag, einen Liebling haben sich die Kunden auch schon ausgesucht: Stachelbeer-Baiser, obwohl das, wie ihr die Kunden versichern, gar nicht so einfach ist. Etwas versteckt, hinter dem Damen- und Herrenzimmer, verbirgt sich das Nähzimmer, denn die Besucher sind nicht nur beim Kaffeetrinken ausdrücklich eingeladen auch zu lesen, nähen oder stricken. Nach Absprache gibt Annett Krägermann auch Nähkurse - und dann entsteht alles von der Unterwäsche bis zum Biedermeierkleid. Und wie schafft sie das alles? „Ich wohne praktisch hier,“ antwortet sie und scheint im „Kaffee Fleck“ ihr eigenes kleines Glück gefunden zu haben. (mz)