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125 Jahre Psychiatrische Uniklinik Halle 125 Jahre Psychiatrische Uniklinik Halle: Strom am Hundehirn

Von Julia Rau 04.11.2016, 05:00
Frank Pillmann zeigt Besuchern, wie die Gebäude früher aussahen.
Frank Pillmann zeigt Besuchern, wie die Gebäude früher aussahen. Lutz Winkler

Halle (Saale) - In der Universitätsklinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik kann man nicht aus dem Fenster springen. „Die Fenster wurden 1891 so konstruiert, dass sie sich in kleinen Teilen vertikal schwenken lassen. Ein Mensch passt durch den Spalt nicht durch“, erklärt Dr. Frank Pillmann. Er ist leitender Oberarzt in der Klinik und hat sich zum Jubiläum mit der Geschichte der Klinik auseinandergesetzt.

Und diese Klinik war bei ihrer Eröffnung vor 125 Jahren hochmodern. Gitter vor den Fenstern gab es nicht und die Patienten konnten allein nach draußen in die Gärten. Zumindest von außen sehen die Häuser noch aus wie damals. Vieles andere hat sich drastisch verändert.

Belegschaft

1891 kümmerten sich drei Assistenzärzte und der Direktor um die Patienten. Der erste Direktor der Klinik war Eduard Hitzig, der sich auf die Erforschung der Hirnrinde spezialisiert hatte. Dazu kamen Pfleger, die teilweise als Wärter bezeichnet werden. Nach langen Schichten schliefen auch sie in freien Betten in der Klinik. 2016 sind 30 Ärzte und Psychologen für die medizinische Betreuung zuständig. Direktor ist heute Professor Dan Rujescu.

Patientenanzahl

Vor 125 Jahren bot die Klinik Platz für 110 Patienten. Im Durchschnitt blieben sie wenige Wochen oder Monate. Sie werden entlassen oder in eine andere Einrichtung verlegt, wenn es ihnen besser geht. Sie schlafen entweder in Einzelzimmern oder Sälen mit bis zu zehn Betten. Heute gibt es 105 vollstationäre und 23 halbstationäre Plätze. Noch immer ist die Aufenthaltsdauer vergleichsweise kurz.

Zwar sei die Zahl der chronisch Kranken etwa gleich, so Pillmann, wegen der verbesserten Behandlungsmethoden würden sie aber schneller geheilt. Außerdem gebe es ein besseres Angebot außerhalb der Klinik, um zum Beispiel leichte Erkrankungen ambulant zu behandeln. Die Patienten schlafen vorwiegend in Ein- oder Zweibettzimmern.

Wohnen auf dem Gelände

Der Direktor der Klinik bewohnte seinerzeit eine der Villen auf dem Gelände. Die Assistenzärzte bezogen Wohnungen im Haupthaus, in dessen Keller wohnten der Oberwärter und der Heizer. Heute wohnt kein Angestellter mehr auf dem Gelände.

Klassengesellschaft

„Alle Patienten werden medizinisch auf gleichem Niveau behandelt“, so Pillmann, damals wie heute. Allerdings wurden 1891 Unterschiede gemacht. Es gab drei Klassen, eingeteilt nach sozialem Hintergrund des Patienten. Die Patienten erster Klasse bekamen anderes Essen und wohnten im oberen Stockwerk. Im Gemeinschaftsraum erster Klasse standen ein Klavier, ein Billardtisch und eine Esstafel.

Gebäude

Vor 125 Jahren gab es fünf Gebäude für die Unterbringung der Patienten: das Hauptgebäude mit den Aufnahmestationen, zwei Villen mit Gemeinschaftsräumen sowie zwei kleinere Gebäude für „unruhige Patienten“. Dazu kamen ein Wirtschaftsgebäude, ein Heizhaus, eine Kapelle und ein Hundestall. 2006 wurden zwei weitere Gebäude gebaut, in denen die geschützten Stationen untergebracht sind. Das ehemalige Wohnhaus des Direktors ist heute eine sozialpsychiatrischen Station.

Hunde

In einem Stall auf dem Gelände hielt Dr. Hitzig, erster Direktor, Hunde zu Forschungszwecken. Er fand heraus, dass die Hirnrinde elektrisch erregbar ist. Seine Versuche führten ab 1891 größtenteils seine Assistenten durch. Heute ist der alte Hundestall ein Gerätehaus.

Akzeptanz

1891 gibt es viele Vorbehalte gegen die Psychiatrie. Zu Beginn existierte sie nur in einer provisorischen Nervenklinik in der Magdeburger Straße in einem einfachen Mietshaus. Im Erdgeschoss war eine Konditorei. Die Nachbarn waren nicht erfreut und protestierten gegen die Einrichtung. „Es gibt immer noch Vorbehalte gegen die Psychiatrie“, sagt Pillmann. Der Vorteil in Halle sei, dass die Klinik in der Stadt steht und nicht isoliert auf der grünen Wiese. Somit musste sie gemeindenah sein, die Gemeinde sich auch mit ihr beschäftigen.  

Methode

Für die Behandlung der Patienten standen 1891 Medikamente, Bäder und therapeutische Möglichkeiten zur Verfügung. Man setzte zudem auf sinnvolle Beschäftigung: Die Patienten sollten zum Beispiel im Garten helfen oder auch musizierten.

Heute stützt sich die Behandlung gleichermaßen auf Medikamente, Psychotherapie - vor allem Verhaltenstherapie - und psychosoziale Maßnahmen, „um die Rückkehr in das familiäre und berufliche Umfeld zu unterstützen“, wie Pillmann sagt.

Geschlechtertrennung

1891 waren Frauen und Männer getrennt untergebracht. Frauen wohnten im südlichen Teil der Anlage, Männer im nördlichen. „Heute sind Frauen und Männer gemeinsam untergebracht“, sagt Pillmann. (mz)