Familiengeschichte Familiengeschichte: Alte Zeichnung zeigt Markt in Eisleben

Eisleben/MZ - „Ich bin sehr bewegt“, sagt David Schlosser (65). Der Australier ist mit seiner Frau Michele (64) auf einer Europareise nach Eisleben gekommen, um hier Spuren seiner Vorfahren zu suchen. Schlosser ist der Urenkel des jüdischen Kaufmanns Benno Goldstein, der im Jahr 1900 gemeinsam mit seinem Bruder Hermann in der Sangerhäuser Straße das neu erbaute Kaufhaus Goldstein eröffnete, damals das größte in Eisleben. Nach den Nazipogromen gegen die Juden 1938 emigrierte die Familie in die Niederlande, wo es ihnen gelang, den Krieg zu überleben. Benno Goldsteins starb 1946 in Amsterdam; die Familie siedelte dann in die USA über.
David Schlossers Großmutter Elisabeth, eine der vier Töchter von Benno und Vally Goldstein, hatte Eisleben aber bereits 1918 verlassen. „Sie ist nach Berlin gegangen, um Mathematik zu studieren“, erzählt David Schlosser. „Das war zur damaligen Zeit sehr ungewöhnlich.“ Eine Eisleber Freundin schenkte ihr zum Abschied eine Zeichnung, die den Markt zeigte. 1938 wanderte Elisabeth mit ihrem Mann nach Australien aus. „Die Zeichnung hing immer in ihrer Wohnung in Sydney“, sagt Schlosser. „So habe ich schon als Kind Eisleben kennengelernt.“ Heute - seine Großmutter ist 1982 verstorben - hängt die fast 100 Jahre alte Zeichnung gerahmt in David Schlossers Arbeitszimmer. Und nun ist er zum ersten Mal in Eisleben und sieht den Markt, den er bisher nur von der Zeichnung kennt, mit eigenen Augen. „Das berührt mich sehr“, sagt er.
Synagoge in der Lutherstraße
Gemeinsam mit Rüdiger Seidel, dem Vorsitzenden des Fördervereins Eisleber Synagoge, sucht das Ehepaar natürlich auch das ehemalige Kaufhaus Goldstein, heute der Große HO, sowie weitere Stätten des einstigen jüdischen Lebens in Eisleben auf: die ehemalige Synagoge in der Lutherstraße, den Jüdenhof, den alten und den neuen jüdischen Friedhof. Mit der Familiengeschichte verbunden ist ein Haus in der Friedensstraße (damals Funkstraße). Hier wohnte David Schlossers Großtante Erika mit ihrem Mann Erwin Graumann, der als Geschäftsführer im Kaufhaus Goldstein arbeitete. Graumanns emigrierten 1938 in die USA.
Der Kontakt nach Eisleben ist über das Internet entstanden. „Ich habe Informationen über die Familiengeschichte gesucht“, erzählt David Schlosser, der mit seiner Frau südlich von Sydney an der Küste lebt. Bei seinen Recherchen stieß er auf den Synagogenverein, dessen Mitglied Sebastian Funk eine umfangreiche Datenbank zu Eisleber Juden aufgebaut hat. „Ich habe Kontakt aufgenommen und geschrieben, dass wir gern einmal nach Eisleben kommen würden“, so Schlosser. Der Synagogenverein lud die Schlossers zum Jubiläum „200 Jahre Jüdische Gemeinde Eisleben“ ein, das in dieser Woche mit einer Feierstunde begangen wurde (die MZ berichtete). „Das war eine wundervolle Veranstaltung“, sagt Michele Schlosser, deren Vorfahren aus Polen und der Ukraine stammen. Auch ihr Mann lobt den Synagogenverein. „Ich bin sehr beeindruckt, dass es so eine aktive Gruppe in Eisleben gibt. Sie leisten eine großartige Arbeit“, so Schlosser. Es sei sehr wichtig, dass die Synagoge erhalten bleibe.