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Wenn der Stein vom Herzen fällt

Von Claus Blumstengel 04.11.2004, 18:45

Coswig/MZ. - Mehreren Hundert Personen im Landkreis Anhalt-Zerbst mag das in den letzten Wochen so ergangen sein. Doch die bürokratische Prozedur vor sich her schieben, hilft nichts. Kompetente Hilfe aber gibt es beim Ausfüllen dieser Formulare seit August und noch bis zum 11. Dezember in Roßlau und Coswig. Die Arbeiterwohlfahrt ist im Altkreis Roßlau Trägerin einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Zehn Berater helfen in Räumen des Jugendklubs Blitzableiter in Roßlau und über dem Fitnessstudio in Coswig den Antragstellern.

"Wir haben darauf geachtet, dass in den Gebäuden Räume für individuelle, vertrauensvolle Gespräche vorhanden sind", sagt der Vorsitzende des AWO-Ortsvereins Coswig, Manfred Ertelt. Ruhig und diskret muss es schon zugehen, wenn die Berater in zwei Schichten täglich sich für einen Ratsuchenden bis zu zwei Stunden Zeit nehmen. "Wir gehen den kompletten Antrag durch und füllen ihn gemeinsam aus", berichtet Koordinator Peter Specht. Manchmal jedoch habe jemand nur eine oder zwei Fragen, die auch mal telefonisch geklärt werden. Weil die Beratung viel Zeit braucht, so der Koordinator, sei eine vorherige telefonische Anmeldung ratsam.

Specht und seine neun Berater-Kollegen sind von der Agentur für Arbeit für diese ABM ausgewählt worden. "Man hat uns auch gefragt, ob wir gut mit Menschen umgehen können", erzählt Beraterin Marina Winkler. Als gelernte Sekretärin kann sie das natürlich, wie auch Peter Specht, der vor seiner Arbeitslosigkeit in der Berufsausbildung, später in der Versicherungsbranche tätig war. Die zehn Leute wurden von der Arbeitsagentur geschult und haben dort während der fünfmonatigen ABM einen Ansprechpartner für spezielle Fragen, die erst während der Beratung aufkommen.

Mit so manchem schweren Schicksal werden die Berater der Arbeiterwohlfahrt konfrontiert. "Mancheiner kann das vielleicht verdrängen - ich jedenfalls nicht", sagt Marina Winkler. Berührt hat sie zum

Beispiel die Schilderung eines Antragstellers, der noch nie Sozialhilfe beantragt hat. "Er kannte seine Ansprüche einfach nicht. Wir haben ihn dann erstmal zum Sozialamt geschickt", berichtet Marina Winkler. Ein anderer versuche seit Jahr und Tag mit dem Sammeln von Schrott über die Runden zu kommen. Erfahren haben die Berater auch von einer Familie, der schon lange der Strom abgestellt wurde, und die in der Umgebung Holz zum Heizen sammelt. "Mancher Antragsteller ist auch vom Intellekt her nicht in der Lage, solch ein umfangreiches Formular auszufüllen, und Analphabeten sind damit natürlich auch überfordert", weiß AWO-Vorsitzender Manfred Ertelt aus Erfahrung. Immer wieder müsse auch darauf hingewiesen werden, dass die Antragsteller für alle Angaben Nachweise vorlegen müssen, ergänzt Peter Specht.

Geholfen wurde in den beiden Beratungsstellen allen, die Rat suchten, 600 Mal bisher, zuzüglich dertelefonischen Auskünfte. Doch so mancher will erst gar keinen Antrag ausfüllen. "Ich bekomme doch sowieso nichts", lautet ein Argument, das die Berater nicht nur einmal hörten und das wohl erklärt, warum so kurz vor Toresschluss noch immer mehr als ein Drittel der Anträge auf Arbeitslosengeld II nicht eingereicht wurden. Manfred Ertelt jedoch rät in jedem Fall, das Formular auszufüllen, auch jener Frau, die zurzeit nur 80 Cent Unterstützung pro Tag bekommt und die keinen Antrag stellen will, weil ihr Mann ja noch Arbeit habe. "Wir rechnen nicht aus, ob jemand Arbeitslosengeld II erhalten wird, empfehlen aber jedem, seine Ansprüche prüfen zu lassen, zumal unsere Beratung ja kostenlos ist, egal, wie lange sie dauert", sagt der Vorsitzende des AWO-Ortsvereins Coswig, der in den letzten Wochen der ABM mit wachsender Nachfrage rechnet.

"Die Leute sind sehr dankbar für diese Hilfe", hat Ertelt erfahren. Keine Rede von Beschimpfungen oder aggressiven Reaktionen, wie sie bei der Einführung des Arbeitslosengeldes II mancherorts befürchtet worden waren. "Wir erklären alles mit viel Ruhe. Und wenn das Formular dann ausgefüllt ist, sagen die Antragsteller oft, ihnen sei ein Stein vom Herzen gefallen", berichtet Marina Winkler.