Erinnerung vor der Haustür Warum zwei Frau dabei helfen die Stolpersteine in Dessau-Roßlau zu putzen
Zur Zeit sind die Dessau-Roßlauer wieder aufgerufen die Stolpersteine in der Stadt zu pflegen. Zwei Putzpatinnen erzählen, warum sie mitmachen.

Dessau/MZ - Etwas Wasser aus der Thermoskanne, dazu ein Putzmittel, ein Schwamm und später etwas Metallpolitur und für die Ecken eine Zahnbürste. Nach wenigen Minuten ist das Werk von Sandra Leuthold und Maja Bernicke vollbracht und der Stolperstein für Lea Jacobson in der Beethovenstraße 9 ist vom Dreck der vergangenen Monate befreit. Er strahlt wieder von neuem Glanz.
Jedes Jahr, im Vorfeld des Gedenkens an die schwere Bombardierung Dessaus am 7. März 1945, rufen die Stadt und die Werkstatt Gedenkkultur dazu auf, alle vorhandenen Stolpersteine zu putzen. 104 Stolpersteine an 55 Standorten im gesamten Stadtgebiet brauchen eine Reinigung. An vielen Orten gibt es schon langjährige Putzpaten.
Für die beiden Frauen ist es ein kleiner Aufwand mit großer Wirkung
Leuthold und Wernicke sind im Reinigen der Steine schon routiniert. 2017 legten die beiden Mitarbeiterinnen des Umweltbundesamtes das erste Mal Hand an. Verschiedene Stolpersteine im Laufe der Zeit haben sie geputzt. Irgendwann hatten die beiden Frauen dann ihre festen Adressen. Neben dem Stolperstein in der Beethovenstraße 9, stehen auch die Steine für Käthe und Siegfried Kanstein in der Medicusstraße sowie die Steine für Henriette Groß und Rudolf Krotoschin in der Hans-Heinen-Straße auf ihrer Putz-Agenda.

Für die beiden Frauen ist es ein kleiner Aufwand mit großer Wirkung. „Durch das Putzen macht man die Steine wieder sichtbarer im Straßenbild“, so Leuthold. Und Sichtbarkeit ist das zentrale Anliegen der Stolpersteine. Der in Berlin geborene Künstler Gunter Deming initiierte die Aktion 1996. In über 1.200 Kommunen bundesweit und über 20 Ländern in Europa gibt es mittlerweile rund 90.000 Stolpersteine, die an den Orten verlegt sind, wo vom NS-Regime verfolgte und getötete Menschen ihren letzten frei gewählten Wohnsitz hatten.
Von Anfang an verfolgen sie das Stolperstein-Projekt in der Doppelstadt
„Das alles waren Menschen mit Träumen und Wünschen, wie jeder von uns, denen auf brutale Weise das Zuhause genommen wurde“, so Bernicke. Ihre „Schuld“ in den Augen der Machthaber von 1933 bis 1945 lag in der jüdischen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit, in der sexuellen Orientierung oder der politischen Ausrichtung, die konträr zu der des NS-Regimes stand.

Deshalb wurden diese Menschen, an die heute Stolpersteine erinnern, abgeholt, inhaftiert und deportiert. Dass sie durch die Steine wieder sichtbar werden, finden die beiden Frauen gut.
Von Anfang an verfolgen sie das Projekt in der Doppelstadt. 2008 wurden hier die ersten Stolpersteine verlegt. „Das ist Gedenkkultur fast vor der Haustür“, lobt Leuthold, die ursprünglich aus der Nähe von Leipzig kommt. „Hier in der Stadt entfaltet es auch seine Wirkung“, stellt Bernicke fest. Die gebürtige Berlinerin, die durch den Umzug des Umweltbundesamtes auch hierher zog, kennt das Stolperstein-Projekt aus der eigenen Heimatstadt. „In Berlin geht es manchmal in der Anonymität etwas unter. Hier ist es sehr viel präsenter. Man nimmt die Steine in ihrem Umfeld intensiver wahr“, sagt sie.
Klare Botschaft für das Leben in Freiheit und im gegenseitigen Respekt
Für die beiden Frauen senden die Steine auch die klare Botschaft, dass Leben in Freiheit und im gegenseitigen Respekt nicht selbstverständlich ist und immer wieder darum gerungen werden muss. Deshalb beteiligen sie sich nicht nur an der Putzaktion, sondern auch an anderen Formaten rund um den 7. März, die Protest gegen Naziaufmärsche zum Ausdruck bringen. „Nie wieder, klingt so salopp. Doch man spürt, welche Verletzungen der Zweite Weltkrieg bis in die Gegenwart der Stadt gebracht hat“, so Bernicke.
Meldungen über bereits geputzte Steine und Nachfragen, welche Steine noch zu putzen sind, werden an [email protected] erbeten. Hintergrundinformationen zu Standorten von Stolpersteinen und zu Schicksalen Betroffener sind unter gedenkkultur-dessau-rosslau.de abrufbar.