Vorsicht, Abstand halten! Vorsicht, Abstand halten!: Graureiher im Georgium

Dessau - Die Geräuschkulisse ist beeindruckend: Wer zwischen Beckerbruch und Tierpark unterwegs ist, kann das Getöse der Graureiher schon von weitem hören. Es ist voll geworden dort hoch oben in den Bäumen. Insgesamt 85 Brutpaare hat das Umweltamt gezählt, das ist eine Steigerung um fast das Doppelte innerhalb nur eines Jahres. Und das ist selten in Sachsen-Anhalt, wo sich der Bestand weiterhin verringert. In Dessau aber breiten sich die Tiere inzwischen von dem festen Koloniestandort neben dem Tierpark weiter aus.
Ruhe nötig
„In diesem Jahr haben die Graureiher zum ersten Mal Nester im Georgium gebaut“, sagt Christoph Otto, Sachbearbeiter für Artenschutz im Umweltamt der Stadt. Um die zehn Paare sind es derzeit dort. „Der Anstieg an Tieren insgesamt ist sehr erfreulich. Aber wir möchten vermeiden, dass sie sich auf noch größere Bereiche im direkten Umfeld verteilen.“ Zu viele Vögel an zu vielen anderen Standorten zerstreuen die Kolonie zu stark. Die Tiere sollen sich auf den Kernstandort konzentrieren.
Dass sie sich überhaupt von dort aus verteilen, dafür sieht Otto zwei Gründe: Sie weichen vor Waschbären aus, die die Nester ausräumen, und den Störungen durch Fußgänger. „In der Nestbauphase reagieren die Tiere extrem sensibel, wenn Menschen unter den Bäumen sind. Sie brauchen Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe, sonst wird die Kolonie zersprengt.“ Derzeit liegen in den Nestern teilweise Eier, aber es werden auch schon Jungtiere gefüttert. Deshalb appelliert Otto an Spaziergänger zwischen Beckerbruch und Tierpark: Sie sollen auf den offiziellen Wegen und Straßen bleiben. Und nicht extra den Weg unter die Bäume der Kolonie nehmen und die Tiere stören. Unmittelbare Gefahr geht von Graureihern nicht aus. Allerdings haben sie ihre Strategie, um sich zu verteidigen: Sie reihern Reste von Nahrung. „Das ist dann natürlich Fisch. Oder sie lassen Mengen an Kot fallen.“
Das Waschbärproblem besteht bereits seit einigen Jahren. „Für sie bedeutet so eine große Kolonie ja eine Art Fettlebe“, erklärt Otto. „Gibt es viele Nester an einem Baum, klettert der Waschbär von Nest zu Nest hoch und räumt sie nacheinander aus.“ Seit 2013 arbeiten deshalb das Umweltamt und der Ornithologische Verein Dessau zusammen: Sie legen den so genannten Brutbäumen am unteren Stamm glatte Manschetten um. Damit kommen die Tiere den Baum nicht mehr hoch und lassen die Pfoten von den Nestern.
Platz für mehr Brutpaare
Die Schreitvögel mit einer Flügelspannweite von bis zu zwei Metern haben sich 2003 zwischen Beckerbruch und Tierpark angesiedelt. Damals waren es vier Brutpaare. Inzwischen ist die große Kolonie ein Aushängeschild für die Stadt geworden. „Es hat sich ein traditioneller Standort mit überregionaler Bedeutung gebildet“, sagt Christoph Otto. Allerdings mit Rückschlägen: 2012 war der Bestand durch Waschbären massiv auf 17 Brutpaare gesunken. Einige Reiher hatten sich in den geschützten Tierpark zurückgezogen, heute leben dort noch etwa acht Paare. „Das ist eine natürliche Strategie: Die Kolonien werden auseinander gezogen, um keine große Angriffsfläche zu bieten.“ 2015 wurden wieder 45 bis 50 Brutpaare gezählt, der Anstieg auf aktuell 85 ist sprunghaft. Eine genaue Ursache dafür gibt es nicht. „Wir staunen selbst. Möglich ist, dass einige der Tiere aus anderen aufgelösten Kolonien stammen“, so Otto.
Prinzipiell sind aber die Bedingungen am Standort gut. In den Gewässern findet der Graureiher genug Nahrung, die Landschaft bietet ausreichend Raum. „Es gibt noch Platz. Solange es die Landschaft hergibt, kann der Standort weiter wachsen.“ Die größten Kolonien in Sachsen-Anhalt haben etwa 100 Brutpaare. Die nächste Kolonie ist in Klieken ansässig. Die meisten Tiere bleiben ganzjährig, fliegen also im Winter nicht in den Süden.
Lebensräume erhalten
Otto weiß, dass der Reiher nicht überall gern gesehen ist. Unter anderem werden ihm - wenn auch nicht so massiv wie dem Kormoran - Fischverluste angelastet. Otto hält Kritikern entgegen: „Man muss Lebensräume erhalten und dem biologischen System die Möglichkeit geben, sich einzustellen. Die natürlichen Regelmechanismen greifen von selbst.“ (mz)
