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Ein Freund rekapituliert Vor 20 Jahren wurde Alberto Adriano im Dessauer Stadtpark von drei Skinheads ermordet

Von Thomas Steinberg 31.08.2020, 09:38
Razak Minhel (Multikulturelles Zentrum) steht ungefähr an der Stelle, wo Alberto Adriano angegriffen wurde
Razak Minhel (Multikulturelles Zentrum) steht ungefähr an der Stelle, wo Alberto Adriano angegriffen wurde Thomas Steinberg

Dessau - Manchmal verfällt er in nachdenkliches Schweigen, wirkt in sich gekehrt, zupft an den Fransen des Tischläufers, bevor er weiter redet, erzählt von jenen Tagen vor 20 Jahren. Er erinnert sich an das „ach, du Scheiße“ als erste Reaktion des damaligen Bürgermeisters Holger Platz. Razak Minhel hatte ihn zuerst informiert, was in der Nacht vom 10. auf den 11. Juni 2000 im Stadtpark passiert war.

Im Stadtpark? Man hat es so oft gesagt und geschrieben, dass Alberto Adriano im Stadtpark ermordet wurde, dass daraus ein Fakt wurde und im privaten Gespräch die Frage aufkam, wie man mitten in der Nacht durch den Stadtpark gehen könne.

Der Subtext lautet: Da müsse man doch damit rechnen, erschlagen zu werden. Also irgendwie ein bisschen selbst schuld. Es ist das gleiche Argumentationsschema mit dem einer vergewaltigten Frau vorgeworfen wird, das wäre vielleicht alles nicht passiert, wenn sie einen längeren Rock getragen hätte.

Vor 20 Jahren wurde das Urteil im Mordprozess Alberto Adriano gesprochen

Am 30. August, also fast auf den Tag genau vor 20 Jahren, wurde das Urteil im Mordprozess Alberto Adriano gesprochen. Und es lohnt, dieses nochmals zu lesen, auch, um eine postmortale Schuldzuschreibung zu korrigieren. Adriano, der seit 1988 in Deutschland lebende Mosambikaner, war in der Friedrichstraße unterwegs, als er von drei Rassisten angefallen wurde.

Teil der Verteidigungsstrategie des Rathauses wurde der stete Hinweis, dass die Täter nicht aus Dessau stammten. Dieser Umstand offenbarte aber noch etwas anderes: Adriano, verheiratet und Vater dreier Kinder, 39 Jahre, Fleischer, wurde Opfer übelsten Rassismus (wie das Urteil feststellt) wie auch schrecklicher Dummheit (beides hängt keineswegs immer zusammen).

Denn während einer der Täter mit dem Zug von Jessen nach Bernburg fahren wollte, waren die beiden anderen von Köthen nach Wolfen unterwegs. Erst in Dessau stellten alle drei fest, dass es keine Anschlusszüge gab, und so trafen sich am Bahnhof Gleichgesinnte, die sich an ihren Klamotten erkannten. Um sich die Zeit bis in die frühen Morgenstunden zu vertreiben, zogen sie los und grölten „Sieg heil!“ und „Juden raus!“. Sie waren nicht betrunken.

Sie beleidigten ihn, schlugen ihn, traten ihn

Am Westeingang des Stadtparks traf das Trio auf Adriano. Der kam von Freunden war auf dem Weg nach Hause in einem der Y-Häuser. Ein Weg, für den man nur wenige Minuten benötigt. Enrico H., Frank M. und Christian R. hatten in dem nur 1,64 Meter großen Adriano ihr Opfer gefunden. Sie beleidigten ihn, schlugen ihn, traten ihn. Sie zerrten ihm die Kleidung vom Leib. Sie stahlen ihm die Armbanduhr.

Und immer wieder schlugen sie zu, traten auf den Mann ein. Sie schrien ihn an: „Du Negerschwein!“ Sie schleiften ihn in den Park, dorthin, wo heute die Adriano-Stele steht. Sie traten und schlugen wieder zu. Sie bemerkten in ihrem Furor nicht, dass ein Polizeiauto neben ihnen hielt. Drei Tage später erlag Alberto Adriano seinen Verletzungen.

Für den Prozess wäre das Landgericht Dessau zuständig gewesen, hätte nicht der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen, weil die „Tat als geeignet schien, die innere Sicherheit zu gefährden“, wie es im Urteil heißt. Die Täter hätten ein „Klima der Angst“ erzeugen wollen, notierte ein Ermittlungsrichter. Verhandelt wurde deshalb am Oberlandesgericht Naumburg.

„Der Mord hat die ganze Migrantengemeinschaft verunsichert und die Stadt hat nichts getan“

Das war ihnen auch gelungen, sagt Minhel, damals Ausländerbeauftragter der Stadt und heute noch Chef des Multikulturellen Zentrums in Dessau. „Der Mord hat die ganze Migrantengemeinschaft verunsichert und die Stadt hat nichts getan, um ihnen ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln.“ Eine große Demo einige Tage nach dem Mord vermochte daran nichts zu ändern.

Jeder Mord ist aufs Tiefste verwerflich. Es ist das Schlimmste, was Menschen Menschen antun können. Aber dieser Mord war in besonders Weise niederträchtig: Die Täter handelten nicht aus Habgier, wollten keine Straftat verdecken. Es ging ihnen nicht um die perverse Befriedigung eines sexuellen Triebes. All diese sind - neben anderen - Mordmerkmale. Adriano wurde einzig und allein seiner Hautfarbe wegen erschlagen. Das Urteil notiert, einer der Täter habe, gefragt nach den Motiven seiner Tat, mit „wütendem Unterton“ geantwortet: „Weil ich ihn hasse, weil er schwarz ist.“

Razak Minhel war mit der Familie Adriano befreundet, wohnte damals in deren Nähe

„Das mit dem Rassismus“, sagt Minhel, und zupft wieder an den Fransen des Tischläufers, „das geht nie weg. Und du kannst dich nicht wehren.“ Wenn in einem Geschäft die Verkäuferin ihn lauter anspricht als andere Kunden. Oder er einen läppischen Irrtum begeht und zu hören bekommt: „Wir sind hier in Deutschland.“ Minhel lebt seit 40 Jahren in Deutschland. Manchmal scheint das nicht genug.

Minhel war mit der Familie Adriano befreundet, wohnte damals in deren Nähe. Am meisten leid getan hätten ihm die Kinder. Die hätten völlig dichtgemacht, auch vor dem medialen Ansturm. Dem war Minhel allein ausgesetzt, die Stadtverwaltung und der Stadtrat erachteten es nicht für notwendig, ihn zu unterstützen.

Einzige Erinnerung an die schreckliche Tat ist eine Gedenkstelle im Stadtpark

Dass das Verfahren nach nur einer Woche abgeschlossen werden konnte, lag an der klaren Beweislage - es gab etliche Zeugen, darunter Polizisten - und die Geständnisse der Angeklagten. Als Minhel sie beim ersten Prozesstag zu Gesicht bekam (danach wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen, zwei der Angeklagten waren minderjährig), war er irritiert. „Ich habe nie zuvor einen Mörder gesehen. Ich dachte, es müssten große, starke Männer sein. Aber das schienen ganz normale Menschen zu sein.“

Das Landgericht verurteilte Enrico H. zu lebenslanger Freiheitsstrafe, die Minderjährigen Frank M. und Christian R. jeweils zu neun Jahren Jugendstrafe.

Einzige Erinnerung an die schreckliche Tat ist eine Gedenkstelle im Stadtpark. Alberto Adrianos Frau ist vor wenigen Jahren an Krebs gestorben. (mz)

An dieser Stelle im Stadtpark wird an den vor 20 Jahren ermordeten Alberto Adriano erinnert.
An dieser Stelle im Stadtpark wird an den vor 20 Jahren ermordeten Alberto Adriano erinnert.
Thomas Ruttke