1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Versäumte Forderungen: Versäumte Forderungen: Stadt Dessau-Roßlau hat über zehn Jahre bestimmte Schulden nicht eingetrieben

Versäumte Forderungen Versäumte Forderungen: Stadt Dessau-Roßlau hat über zehn Jahre bestimmte Schulden nicht eingetrieben

Von Daniel Salpius 18.10.2019, 05:00
Das Dessauer Rathaus
Das Dessauer Rathaus Ruttke

Dessau-Roßlau - Die Stadt hat aufgrund der fehlerhaften Anwendung ihrer Vollstreckungssoftware „Avviso“ über zehn Jahre bestimmte Forderungen gegenüber Schuldnern nicht erhoben. Das geht aus einem internen Informationspapier der Verwaltung hervor, das der MZ vorliegt. Das Papier stammt aus dem Jahr 2016 und wurde jetzt durch eine Indiskretion bei Facebook öffentlich.

Das Problem bestand dem Dokument zufolge schon seit 2006. Aufgefallen war es nur deshalb, weil in den Jahresabschlüssen der Stadt in der Spitze Forderungen in Höhe von zehn Millionen Euro aufgelaufen waren, die als sogenannte Kasseneinnahmereste auftauchten.

Welcher finanzielle Schaden sich daraus für die Stadt ergibt, ist unklar. Die Verwaltung glaubt, das Problem größtenteils geheilt zu haben. Mögliche Verluste sollen sich maximal im fünfstelligen Bereich bewegen.

Erstmals seien Unstimmigkeiten zwischen 2008 oder 2009 aufgefallen

Erstmals seien Unstimmigkeiten bei diesen Kasseneinnahmeresten 2008 oder 2009 aufgefallen, erklärt Finanzdezernentin Sabrina Nußbeck. Diese seien dann von Jahr zu Jahr um etwa zwei Millionen Euro angestiegen, ohne dass Einnahmen verzeichnet worden seien. „Diese Forderungen wurden nicht beigetrieben und stiegen weiter.“ Anlass für Nußbeck, sich tiefer mit dem Bereich Vollstreckung zu befassen.

In „Avviso“ erfasst die Stadt Forderungen, die nicht fristgerecht von den Schuldnern beglichen werden. Sobald ausstehende Zahlungen in der Software hinterlegt sind, entstehen zugleich Nebenforderungen. Dabei handelt es sich um Säumniszuschläge und Verzugszinsen - also Strafgebühren. Diese Nebenforderungen wurden laut internem Papier über einen Zeitraum von über zehn Jahren unter anderem für Erbbauzinsen, Baugenehmigungsgebühren, verschiedene Forderungen im Sozialbereich und Verwaltungsgebühren verschiedener Ämter nicht erhoben, da sie nicht berechnet worden seien. Als Grund werden „schwerwiegende Fehlanwendung der Software sowie fehlerhafte Entscheidungen im Rahmen der Einführung der Vollstreckungssoftware“ genannt.

Finanzdezernentin Sabrina Nußbeck nennt personelle Mängel las Ursache

Von großen personellen Mängeln beziehungsweise mangelnder Führung spricht auch die Finanzdezernentin. Der Bereich Vollstreckung sei bei Anschaffung von Avviso im Jahr 2005 noch im Rechtsamt angesiedelt und dort nicht gut aufgehoben gewesen. „Eine neue Software einzuführen, ist in erster Linie eine organisatorische Aufgabe“, erklärt Nußbeck. Diese Aufgabe habe man im Fachbereich damals einer einzelnen Mitarbeiterin übertragen, die damit überfordert gewesen sei.

So wurden etwa Art und Höhe der Nebenforderungen, Vollstreckungsmaßnahmen oder Verjährungsfristen für die verschiedenen Einnahmearten (Steuern, Gebühren, Beiträge) überwiegend falsch in der Software hinterlegt. Das führte im Ergebnis auch zu dem Problem mit den nicht erhobenen und nicht einmal aufgemachten Nebenforderungen.

Zugleich seien auch die zugrunde liegenden Hauptforderungen nicht effizient von der zuständigen Abteilung beigetrieben worden, so Nußbeck. Die damalige Leiterin habe es versäumt, den Ablauf von Vollstreckungsverfahren klar festzulegen. Wann der erste Brief raus geht, wann die erste Mahnung, wann Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden - all das sei mitunter gar nicht klar geregelt gewesen. Dies wiederum führte in den Jahresabschlüssen zu den offenen Forderungen in Millionenhöhe.

Ähnliche Probleme mit „Avviso“ sind dem Entwickler Data-Team aus Leipzig nicht bekannt

All diese Zusammenhänge erschlossen sich für das Finanzdezernat eigenen Angaben zufolge erst Stück für Stück. „Wir wussten nur, dass einiges im Argen liegt, aber die Ursachen waren zunächst schwer zu durchschauen“, resümiert Nußbeck. Als Konsequenz habe man sich 2011 von der Abteilungsleiterin getrennt. 2013 ordnete die Dezernentin das Sachgebiet dem Amt für Stadtfinanzen zu und besetzte die Leiterstelle neu. Zudem seien sechs Stellen neu besetzt worden.

Heute seien alle Probleme gelöst und die Abteilung fachlich so gut aufgestellt, dass man auch mit den großen Städten mithalten könne, sagt Nußbeck. Und: „Der finanzielle Schaden für Dessau-Roßlau hält sich in Grenzen.“ Alle noch beitreibbaren offenen Forderungen und Nebenforderungen seien inzwischen beigetrieben worden.

Einzig auf Nebenforderungen, bei denen die zugehörige Hauptforderung unterdessen von Schuldnern beglichen worden war, habe die Stadt verzichtet. Von welchen Summen hierbei die Rede ist, könne man nicht schätzen. „Ich nehme an, es ist vielleicht fünfstellig“, gibt die Dezernentin eine vorsichtige Prognose ab. „Es ist aber tatsächlich nicht errechenbar.“

Ähnliche Probleme mit „Avviso“ in anderen Verwaltungen sind zumindest dem Entwickler Data-Team aus Leipzig auf Anfrage nicht bekannt. Ob das Thema noch ein Nachspiel hat, wird sich zeigen. Nachdem ein Stadtrat das nicht-öffentliche Informationspapier bei Facebook geteilt hatte, drohte ihm die Verwaltung mit rechtlichen Schritten. (mz)