Utopisches Institut Dessau Utopisches Institut Dessau: Ein Ort im Kopf
dessau/MZ - Würstchen- oder Pförtnerbude, Pissoire, Denkkarton, Treppenlaube? So vielleicht: Die Assoziation führt von der Laube zum Schrebergarten, vom genormten Kleinstparadies zielsicher zum Schrebertempel, zur Tempellaube. Und wahrhaftig erscheint es wie ein Heimwerker-Heiligtümchen mit Pappmaché-Säulen und Arme-Leute-Flitter, das aufgelesene, klaustrophobisch anmutende Utopische Institut Dessau (UID), welches am Freitag eröffnet wurde und nun einen innerstädtischen Un-Ort auf Zeit belebt.
Das Projekt des in Hamburg lebenden Künstlers Christoph Ziegler ist auch ein Projekt des Umweltbundesamtes (Uba). Das Amt habe schon immer den Dialog mit Künstlern gesucht, sagt Harry Lehmann, Fachbereichsleiter Umweltplanung und Nachhaltigkeitsstrategien im Umweltbundesamt. Er fährt fort: „Wenn wir uns um die Zukunft kümmern, dann müssen wir in Interaktion treten mit der Gesellschaft.“ Künstler seien Menschen mit besonderer Sensitivität, die helfen, zu sehen, was Wissenschaftler vielleicht übersehen würden, auch wenn die Sprache der Künstler zuweilen Stirnrunzeln erzeuge. Ob die großen Probleme der Zukunft reformistisch zu lösen seien oder ob es nicht vielmehr der großen Transformation bedürfe, fragt Lehmann, dankt und endet: „Ohne die Utopie von gestern hätten wir nicht die Realität von heute.“ Und die Straßenbahn fährt ihm quittierend durchs Wort.
Utopie heißt „Un-Ort“ und steht für Zukünftiges, welches in der Gegenwart weder Raum noch Möglichkeit hat und doch als Vorstellung oder Prinzip auf diese Gegenwart wirkt. Utopia mag auch schlicht als ein Ort der Träume und Fantasien gelten. Weniger paradiesisch liefert der Un-Ort vor allem Absagen an Handlungsweisen und Denkformen, welche die Zukunft in Frage stellen.
Willkommen in der Tempellaube! „Ich möchte die Tür öffnen für Möglichkeiten“, sagt Ziegler und öffnet die Tür des Verschlages, nachdem er zusammen mit Loukia Richards die Institutsfahne gehisst hat. Hunde heben ein Bein, um ihr Revier zu markieren. Was ist kleinwüchsiger als das Hissen eines Fähnchens?
Polarisierende Hülle
Ziegler arbeitet mit einer gehörigen Portion Ironie, mit einer zerlegten Tischtennisplatte, mit einer Glasschüssel als Bullauge. Die Architekturen der großen Institute, man denke an das Uba, saugen Licht von überall, brechen Räume auf, vernetzen Innen und Außen, als wollten sie sagen: Seht her, wie offen wir sind! Ziegler macht zu, engt ein. „Nein“, sagt er, „ich verdichte, schaffe die nötige Intimität.“ Zehn Tage wird er in seinem Institut sitzen: Der Künstler als Pförtner von Utopia, einem Ort, den man im Kopf bereist. Dieses begrenzte Heimwerker-Institut soll als polarisierende Hülle also Raum bieten für unbegrenzte Gedanken, für Gespräche mit Passanten, für unerhörte Reaktionen. Zudem wird der Un-Ort mehrfach von Künstlern bespielt.
Prinzip des Überlebens?
Das Tempelchen scheint die historischen Narben der Stadt zu reflektieren. Die freie Anlehnung an die Gartenhäuschen-Kultur mag Kleingärtner-Mentalitäten auf die Schippe oder doch Privatparadiese ernst nehmen, jedenfalls wurde das Paradies in Fantasie und Sehnsucht nicht selten als Garten angelegt. Wer die Tempellaube betritt, wird vom drögen Charme einer sternenlosen Campingplatz-Rezeption empfangen. Eine kleine Bibliothek reiht Bücher und Aufsätze zum Thema wie Allerweltbroschüren auf. „Gehhilfen“ nennt Ziegler die kleine Auswahl an Literatur.
„Onkel Toms Hütte“ steht dort, „Island“ von Aldous Huxley und natürlich Ernst Bloch: Utopie als Prinzip des Überlebens des Mangelwesens Mensch, als kategorischer Imperativ. Auf dem spartanischen Arbeitstisch liegt der Klassiker des Genres, „Utopia“ von Thomas Morus, verfasst 1516. Seine Utopier kennen keinen Privatbesitz und tauschen ihre Häuser in einem Rhythmus von zehn Jahren. Das Los entscheidet. Also losen wir? Platte gegen Villa, Mietskaserne gegen Reihenhäuschen? Lieber nicht? Dann vielleicht UID gegen Uba, ein Utopiebundesamt, am Un-Ort, im betonierten Zwischenraum einer schrumpfenden Stadt, auf der Treppe zur Hobuschgasse.