Singen mit Tradition
Dessau/MZ. - Das Aufblühen des bürgerlichen Musiklebens in Chor- und Musikvereinen im 19. Jahrhundert hatte auch das einfache Dorfleben in Kochstedt ergriffen. Nur wenigen ist bewusst, dass dort die Sangesfreude eine lange Tradition hat. Gründete sich doch bereits 1869 der "Männer-Gesangsverein". Seine Mitglieder waren Bauern und Handwerker. Die ländlichen Bedingungen im Ort ließen ein kontinuierliches Chorleben jedoch nicht immer zu. Deshalb konzentrierte sich die Probenarbeit mehr auf das Winterhalbjahr, wenn die Arbeit auf den Feldern ruhte. Der Inhalt der Musikstücke war damals oft konservativ, nationalistisch ausgelegt.
Ältere Kochstedter erkennen auf einem Bild, das im übrigen auch in der Gaststube des "Grünen Baums" zu sehen ist, bestimmt noch alte Bekannte. Das Foto vom Chor entstand um 1934 auf dem Hof des "Grünen Baums". Der damalige Besitzer des Anwesens war Karl Behringer. Im Lehrer, Organisten und Klavierspieler Walter Schützendübel hatte der Chor ab 1916 einen hervorragenden Chorleiter.
Später gründete sich noch der "Gemischte Chor Eintracht". Aus dem alten Notenmaterial geht hervor, dass auch hier Walter Schützendübel das Volumen dieses verhältnismäßig großen Chores sehr gut einsetzte. Es lässt sich denken, dass er als strenger, aber korrekter Lehrer vom alten Schlag beide Chöre sehr exakt und mit hoher Qualität führte. Aber bei allen Erfolgen war sicherlich das Zusammensein der Menschen beim gemeinsamen Singen das Wichtigste und in dieser Zeit, in der es noch keine Fernseher gab, ein besonderes Bedürfnis.
Abschied nach Rodleben
Walther Schützendübel war von 1916 bis 1937 Lehrer und Chorleiter in Kochstedt und danach Lehrer in Rodleben. Von seinen Chören wurde er in allen Ehren verabschiedet. Eine kleine Gedenktafel des Männer-Gesangsvereins zeugt von der einstigen Verbundenheit.
Dieser Chor war sehr aktiv, und es wurde viel gemeinsam unternommen. In voller Besetzung kam der große Chor, unter der Leitung des Lehrers Dr. Martin aus Mosigkau, auf rund 80 Mitglieder. Die Proben für die Kochstedter fanden regelmäßig im "Grünen Baum" und für die Mosigkauer im Schloss statt. Zu bestimmten Anlässen probten beide Chöre aber immer gemeinsam im Saal des "Grünen Baums".
Geheimnisvoller Koffer
Um 1958 übernahm dann "einer vom Theater" diesen Chor, so schilderten es ehemalige Chormitglieder. Das Liedgut des Klangkörpers wurde mehr und mehr ins Politische gelenkt. Das war wohl nicht so im Sinne der Sänger. Es wurden immer weniger, bis sich der Chor nach 1960 auflöste.
Seit Jahrzehnten versuche ich als Hobby-Ortschronist, die Geschichte Kochstedts zu erforschen. So erfuhr ich 1990 eher beiläufig in einem Gespräch mit dem ehemaligen Klubhausleiter Werner Frank vom Fund eines Koffers mit alten Noten. Mit Erstaunen konnte als Inhalt diverses Notenmaterial von ehemals existierenden Kochstedter Chören - Männerchor, Gemischter Chor und Volkschor - festgestellt werden. Durch das vorhandene Bildmaterial sowie die Namenslisten konnten die Arbeit und das Gemeinschaftsleben dieser Chöre gut nachvollzogen werden.
1999 bekam der Ortschaftsrat ein ABM-Projekt, das Elke Arndt und Manfred Hohmann anvertraut wurde. Ihnen wurde die Kochstedter Geschichte und die Idee einer Chor-Neugründung nahe gebracht. Beide unterstützten diesen Gedanken maßgeblich. Frau Arndt konnte ihren Ehemann Peter als Chorleiter gewinnen. Am 28. März 2000 gründete sich der heute erfolgreiche Chor "Viva la Musica". In ihm singen 37 Alt- und Neukochstedter gemeinsam.