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Schritt für Schritt - ein Ballett entsteht Schritt für Schritt - ein Ballett entsteht: Takt um Takt wächst die Struktur

Von Ilka Hillger 21.03.2001, 16:37

Dessau/MZ. - So recht mag der Frühling, der am Dienstag offiziell im Kalender startete, noch nicht überzeugen. Etwas unentschlossen ist er, launisch. Mit Regen, Schnee und Graupel tanzt er aus der Reihe. Ließe er sich von Ballettchef Gonzalo Galguera choreographieren, alle Dessauer würden verzückt die dicken Jacken abwerfen und sich den ersten wärmenden Sonnenstrahlen hingeben. Doch Galguera ist nicht der Wettergott sondern nur der Chef im Ballettsaal. Hier allerdings zaubert er einen Frühling aus Antonio Vivaldis "Vier Jahreszeiten", der seinen Namen zu recht trägt.

Im Parforceritt geht es für das Ballettensemble des Anhaltischen Theaters derzeit durch die zwölf Monate. Am Abend zuvor war es Frühling, an diesem Vormittag ist es ab 10Uhr eben solcher. Die Tänzer sind versammelt. Ballettrepetitor Christian Feiler sitzt hinter der Musikanlage. Mit Trainingsmeisterin Evelina Yosifova haben sich die Frauen und Männer warm getanzt. Nicht warm genug freilich, um jetzt mal einen Moment still zu sitzen. Das können Tänzer nicht. Ständig wackelt ein Bein, dehnt sich und streckt sich im ruhigsten Falle. Die meisten drängen sich auf dem Tanzboden zwischen den Spiegelwänden und üben ein ums andere Mal die Figuren und Schritte, die sie am Abend zuvor das erste Mal einstudierten.

Jetzt wird es endlich Zeit, dass Galguera kommt, damit sich so viel aufgestaute Energie entladen kann. Viel Worte macht der Kubaner nicht gerade. Er will noch einmal den Frühling sehen. Also startet die Musik und die Tänzer legen los. Alexander Korn verausgabt sich inmitten einer flirtenden und turtelnden Frauengruppe. Burschikos begegnet danach Solistin Emma-Jane Morton den buhlenden Herren. "Vorwärts, jetzt Action, mehr Ruhe", viel größer ist das Vokabular des Choreographen am Anfang dieser Probe nicht. Gonzalo Galguera ist vielmehr der stille Beobachter, der seinen Standort wechselt, aus verschiedenen Posisitonen betrachtet, wie Schritte und Figuren wirken.

Freilich wird es an diesem Vormittag noch anders. Denn nachdem noch einmal das Finale des Herbstes aufgefrischt wurde - zur Zufriedenheit des Ballettchefs übrigens - ist es Zeit für den Einbruch des Winters. Diesmal weiß das Ensemble nichts. Nur Galguera kann ihnen erklären, was er später auf der Bühne sehen will. Und da reichen nun nicht mehr nur Worte. Jetzt lässt er endlich Taten sehen, streift sich die dicken sockenartigen Überschuhe von den Füßen. Und tatsächlich sind darunter Ballettschuhe. Der Chef tanzt selbst, wenn auch nur vor. Na, da würde wohl so manche begeisterte Dame seines Publikums eine Menge für geben, um das zu sehen.

Zwei, drei Sätze genügen heute, um dem Ensemble das Grundprinzip dieses Jahreszeiten-Teiles verständlich zu machen. "Reife, Ruhe und Frieden", will er vermittelt, "die man finden kann, wenn man viele Jahre hinter sich und alles erreicht hat". Geduldig rückt er also die Paare in Position. Musik setzt ein. Galguera tanzt. Die Tänzerinnen und Tänzer ahmen die Schritte und Kombinationen auf der Stelle nach. Nur ein paar Takte klingt der Vivaldi. Wiederholung. Dann sind auch schon die Tänzer dran. Und weil einer allein sich selbst kaum ins Gehege kommt, ist nun, wo alle nach vorn und zur Seite drängen und tanzen, doch mehr Wirrwarr zu sehen als Geschlossenheit. Immer wieder geht es von vorn los. Und so, wie die Choreographie an Struktur gewinnt, kommt Gonzalo Galguera ins Schwitzen. Er wirft zunächst sein T-Shirt in die Ecke und dann die lange Hose.

"Einerseits Strenge und Kühle sollt ihr ausdrücken, andererseits Empfinden", erklärt er seinen Leuten. Wie beim Vokabellernen funktioniert Choreographie offensichtlich durch Üben, Üben, Üben. Irgendwann ist es genug.