Macht ein Formfehler das Bürgerbegehren unzulässig?
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Auf der Internet-Seite www.kein-notverkauf.de
ist die Welt noch in Ordnung. Ein rotes Stop-Schild prangt dem Besucher entgegen. "Unser Eigentum", steht es trotzig darunter, "steht nicht zum Verkauf."
9 307 Unterschriften hatten die Initiatoren des Bürgerbegehrens für den Erhalt der Unternehmen der Daseinsvorsorge im Eigentum der Stadt Dessau-Roßlau im Sommer gesammelt und Ende September an die Stadtverwaltung zur juristischen Prüfung übergeben.
Das schien bislang eine Formsache. Es galt vom Wahlamt festzustellen, dass mindesten 5 000 der 9 307 Unterschriften gültig sind. Dass Name und Adresse stimmen. Dass nur Bürger aus Dessau-Roßlau unterschrieben haben. Doch seit dieser Woche gibt es Unruhe unter den Initiatoren. Des Bürgerbegehren ist möglicherweise wegen eines Formfehlers unzulässig. Entdeckt hat den Fehler der Dessauer Rechtsanwalt Thomas Markworth, ohne ein Mandat zu haben, eher zufällig bei einer Recherche zu einem anderen Thema. "Es spricht aber nun viel dafür, dass sich die Stadtverwaltung den Prüfungsaufwand für die Unterschriften ersparen kann."
Die Formalitäten des Bürgerbegehrens sind in der Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt geregelt. In Paragraf 25, Absatz 2, heißt es dort im zweiten Satz: Das Bürgerbegehren "muss bis zur drei Personen benennen, die berechtigt sind, die Unterzeichner zu vertreten". Im Dessauer Fall aber wurden fünf Personen benannt: die Gewerkschafter Uwe Henschke und Norbert Galleske sowie die Politiker Hans-Christian Sachse, Lothar Biener (beide SPD) und Ralf Schönemann (Die Linke).
Urteile in anderen Ländern
Was sich nach einer Kleinigkeit anhört, hat in der Vergangenheit schon einige Gerichte beschäftigt. Zuletzt urteilte das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen im Mai 2003. "Ein Bürgerbegehren, das mehr als drei Personen benennt, die berechtigt sind, die Unterzeichnenden zu vertreten, ist unzulässig", hieß es damals eindeutig. "Der Sinn und Zweck der Vertreterbenennung, alle Verfahrensrechte bei einigen wenigen Vertretern zu konzentrieren, ...gebietet es, dass das Erfordernis einer Höchstzahl von Vertretern strikt eingehalten wird." Ähnlich hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof schon im Februar 1997 entschieden. Im konkreten Fall wurden damals sogar nur vier Vertreter benannt. "Diesen offenkundige Widerspruch zu einer zwingend geltenden Formvorschrift macht das Bürgerbegehren offensichtlich unzulässig."
Die Initiatoren reagieren auf die Nachricht des Formfehlers geschockt, haben diesen aber inzwischen nach unzähligen Telefonaten und Krisensitzungen eingeräumt. "Es ist in der Tat so, dass die Formulierung ,bis zu' keine Spielräume lässt", sagte Hans-Christian Sachse. "Einen gewaltigen Stockfehler" räumte Ralph Schönemann an. Warum im Frühjahr fünf vertretungsberechtigte Personen benannt wurden, ist nicht mehr so richtig aufzuklären. Wahrscheinlich waren es paritätische Gründe.
Zu ändern ist es nicht mehr, auch wenn sich die Macher über das "juristische Geplänkel" ärgern. "Da fasst sich doch der Bürger an den Kopf", sagte Sachse, hoffend, "dass das Bürgerbegehren an dieser Formalie nicht scheitert". Die Stadtverwaltung müsse eine Lösung für über 9 000 Bürger finden. "An der Intention des Begehrens hat sich ja nichts geändert."
Ob der Formfehler heilbar ist, ist offen. Die Initiatoren wollen prüfen lassen, ob man zwei vertretungsberechtigte Personen noch abberufen kann. Unter der Juristen ist strittig, ob so etwas möglich ist. Auch Jens Kolze, Stadtrat in Dessau-Roßlau, CDU-Landtagsabgeordneter und Innenexperte seiner Partei, will sich nicht festlegen. Klar ist für ihn: "Die Formulierung ,bis zu drei' ist eine abschließende Regelung, die kein Ermessen zulässt."
Die Dessau-Roßlauer Stadtverwaltung hält sich in einer Bewertung der Sachlage zurück. "Das Rechtsamt prüft das Bürgerbegehren derzeit formell und materiell", erklärte Stadtsprecher Carsten Sauern, gab allerdings zu. "Der neue Gesichtspunkt wird in die Prüfung aufgenommen."
Ärger um Prüfung
Eben um diese Prüfung hatte es zuletzt schon einigen Ärger gegeben, weil sich die Stadtverwaltung nach Meinung mancher Beobachter damit zu viel Zeit lässt. Oberbürgermeister Klemens Koschig, der im Frühjahr die Bürger noch aufgerufen hatte, das Begehren nicht zu unterschreiben, hatte zuletzt für Anfang Dezember ein Ergebnis angekündigt, hinter den Kulissen aber auch schon angefragt, ob man sich für die Prüfung nicht bis April Zeit lassen könne. Das hätte einen - Kosten sparenden - Vorteil. Lehnt der Stadtrat es ab, die Intention des Bürgerbegehrens per Beschluss zu übernehmen, muss binnen drei Monaten nach der Zulässigkeits-Erklärung ein Bürgerentscheid stattfinden. Kommt es dazu, wollte die Stadtverwaltung diesen mit der Europawahl am 7. Juni 2009 verbinden, um die Wahllokale nur einmal öffnen zu müssen.
Die Initiatoren des Bürgerbegehrens hatten das abgelehnt - und die Zulässigkeitserklärung auf die Tagesordnung des Dezember-Stadtrats gesetzt. Gut möglich, dass dieser Punkt jetzt noch einmal überdacht werden muss.