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Letzter Akt Letzter Akt: Abschied von der Gemäldegalerie -Ende eines langen Streits?

Von Lisa Garn 04.06.2018, 09:17
Norbert Michels bei seiner Verabschiedung in der Orangerie - neben ihm der erste Direktor der Anhaltischen Gemäldegalerie, Ludwig Grote.
Norbert Michels bei seiner Verabschiedung in der Orangerie - neben ihm der erste Direktor der Anhaltischen Gemäldegalerie, Ludwig Grote. Lutz Sebastian

Dessau - Mit Fliege und charmantem Lächeln tritt Norbert Michels am Freitag ans Pult: „So, der letzte Akt für mich.“ Er blickt in die Runde, die in der Orangerie sitzt. Er ist gerührt und verpackt es in seine typische Mischung aus Ernst und Witz.

„Dass so viele dem alten Michels, nachdem er 26 Jahre sein Unwesen in Dessau getrieben hat, Adieu sagen wollen, ist nicht selbstverständlich.“ Es war die Stunde des letzten Abschieds aus einer Stadt, die er über Jahrzehnte mit geprägt hat. Am Vormittag ist Norbert Michels in der Orangerie als ehemaliger Leiter der Anhaltischen Gemäldegalerie in den Ruhestand verabschiedet worden.

Viel Lob für Ausstellungen zu Cranach und vielen mehr

„Die Gemäldegalerie war mir immer Verpflichtung, etwas daraus zu machen. Weil die Sammlung hochklassig ist“, sagt der 63-Jährige. Gemacht hat Michels in den Jahren viel daraus. Mit Ausstellungen zum Beispiel zu Cranach in Anhalt, zu Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, Carl Wilhelm Kolbe und Hendrick Goltzius, die viel Lob einbrachten.

Dabei ist die Ausgangslage für die größte und bedeutendste Sammlung an Malerei und Grafik in Sachsen-Anhalt schwierig. 1.800 Gemälde und 18.000 Grafiken aus dem 15. bis 19. Jahrhundert befinden sich im Bestand. Ein Schwerpunkt ist deutsche und niederländische Malerei. Immer wieder gehen Leihgaben in Museen aller Welt. Doch die Galerie ist seit Jahren ohne Heimstatt - der eigentliche Sitz, das Schloss Georgium, wird noch bis 2019 saniert.

Er habe bei der Präsentation und Erschließung der Bestände „Anerkennung und Respekt auch im Ausland“ errungen, so Oberbürgermeister Peter Kuras in seiner Dankesrede. „Mit Herzblut und Leidenschaft haben Sie die Gemäldegalerie bemerkenswert gesteigert und verbessert.“ In der Kulturlandschaft Sachsen-Anhalts sei sie fest verankert worden. Unter Michels Ägide wurde auch das Fremdenhaus wieder aufgebaut, die Orangerie und Nebengebäude saniert. Dort und vor allem im Johannbau werden derzeit die Ausstellungen gezeigt.

Norbert Michels: Es sei immer Qualität, Anspruch und Resonanz gegangen

Michels ist gebürtiger Essener, ab den 70er Jahren studierte er Kulturgeschichte, Völkerkunde und Philosophie. Im Fach Philosophie promovierte er, arbeitete in verschiedenen Museen in Deutschland. Die Dessauer Zeit begann 1992, als Leiter der Anhaltischen Landesbücherei. 1994 wurde er kommissarisch Chef der Gemäldegalerie, 1995 hauptamtlich. Ihm sei es, so Michels, immer um Qualität, Anspruch und Resonanz gegangen.

Zwar erschwerten kulturpolitischen Rahmenbedingungen im Land der Bildenden Kunst den Stand. „Aber Not macht erfinderisch. Man konnte doch eine ganze Menge machen, weit über Dessau hinaus“, sagt Michels. Auch, weil er über ein großes Netzwerk verfügt. Er warb namhafte Autoren für die Kataloge, die ein bemerkenswertes Niveau spiegeln, beschaffte Drittmittel und hält Verbindungen zu internationalen Museen.

„Ich habe das sehr gern gemacht und ich scheine nicht viel verkehrt gemacht zu haben“, sagt Michels. Am Freitag machte er aber auch keinen Hehl daraus, dass eine Verletzung geblieben ist: Sein Weggang ist das Ende eines langen Streits um das Georgium. Hinter den Kulissen muss es wegen der Ausstellungspräsentation nach der Eröffnung 2019 gekracht haben. „Ich wurde zur persona non grata. Das vorzeitige Ende war die Konsequenz“, sagte Michels. Er ging Ende Februar auf eigenen Wunsch. Kommissarisch leitet die Galerie derzeit Nadine Willing-Stritzke.

Norbert Michels: Ein Mann mit feinem Humor, Charme und Tiefsinn

Michels spricht über das Ende nicht selbstmitleidig, es würde auch nicht zu ihm passen. Wer ihn kennen gelernt hat, schätzt seinen feinen Humor, seinen Charme und seinen Tiefsinn. Auch Kinder, die er immer wieder geschickt für die Galerie begeisterte. Michels besitzt tiefe Fachkenntnis, verfügt über einen großen Wissensschatz - und kann trotzdem auch Laien für Kunst interessieren. Weil er auf den Punkt kommt.

Er eckte aber auch an, weil er in seiner Haltung und seinen Zielen so manches Mal stur blieb. Hans-Georg Otto, früherer Oberbürgermeister von Dessau und heute der Chef des Kulturausschusses, weiß das nur zu gut: „Er war nicht immer einfach und sehr direkt. Aber er hat Entscheidungen getroffen, ohne Externe zu bemühen, ohne Verantwortung abzugeben. Genau das ist für eine Stadt und Region wichtig.“

Michels war auch viel unterwegs. „Bei fast jedem Oberbürgermeister oder Dezernenten musste ich den Sinn und Zweck dieser Dienstreisen erklären. Und auch wenn es manches Mal den Anschein von Urlaub hatte - das war es nie.“ Oft begleitete er wertvolle Werke, die verliehen wurden. An eine Reise erinnert er sich besonders gut: Als ein Blumenstillleben von Balthasar van der Ast in New York im Metropolitan Museum ausgestellt werden sollte, da war jedes Schlagloch auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt wie ein Stich ins Herz. „Das muss man hochsensibel behandeln, wie ein rohes Ei.“

Abschied von Dessau auf italienisch

Große Ausstellungsprojekte, die räumliche Erweiterung und „respektable Kataloge bei minimalem Etat“ - auf all das blickt er mit Stolz zurück. Aber auch darauf, dass Werke mit Landesmitteln erworben werden konnten. „Sie haben Kriegsverluste ausgeglichen und die Sammlung abgerundet, sie weiter in Richtung Gegenwart entwickelt.“

Für Michels ist es nun tatsächlich der letzte Akt in Dessau - räumlich und gedanklich. Er lebt mit seiner neuen Partnerin bereits hauptsächlich in Italien und in Süddeutschland. Was er nun anfangen wird, mit diesem neuen Leben, soll die Zeit zeigen. „Ich baue Tomaten an, es gibt Weinreben. Ich will mich kulturhistorischen Themen widmen. Und ja, vielleicht habe ich auch Lust, mal eine Ausstellung zu machen.“ Von Dessau verabschiedete er sich auf italienisch: „Mille grazie und tutti avanti für die Galerie.“ (mz)