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Klassentreffen in Dessau Klassentreffen in Dessau: In alle Welt und doch so nah

Von silvia bürkmann 20.07.2014, 16:32
Ungeachtet der Hitze hat sich am Sonnabend in der Fieger-Stube im Kornhaus der Abschlussjahrgang 1964 vom Waggonbau wiedergesehen.
Ungeachtet der Hitze hat sich am Sonnabend in der Fieger-Stube im Kornhaus der Abschlussjahrgang 1964 vom Waggonbau wiedergesehen. sebastian Lizenz

Dessau/MZ - Zwölf von 23 - das ist mehr als die Hälfte. Und somit war die Mission, die ein halbes Jahrhundert aussichtslos schien, am Sonnabend doch geglückt: Die Absolventen von 1964, die im Waggonbau Dessau ihre „Berufsausbildung mit Abitur“ als Schlosser beendet haben, trafen sich nach 50 Jahren erstmals wieder!

Nicht alle Ehemaligen sind dabei

Als Initiatoren und Organisatoren hatten sich Axel Finsch aus Görzig (Anhalt-Bitterfeld) und der Dessauer Bodo Scheidt die Klassenkameraden von einst ausfindig gemacht. „Leider nicht alle“, eröffnete Finsch das Treffen in der Fieger-Stube im Kornhaus. Drei der Ehemaligen sind bereits gestorben und drei blieben beim besten Willen unauffindbar. Die anderen aber freuten sich riesig über das Wiedersehen. „Endlich“, „tausend Dank, Finschi“, hieß es reihum. Und dass auch noch „Walter gekommen war“, verschlug den gestandenen Männern Ende der Sechziger den Atem. „Der Walter“ nämlich, das ist der „junge Lehrmeister“, der 1961 mit selbst kaum 24 Jahren die junge Rasselbande unter seine Fittiche nahm und an der Seite von Klassenlehrer Karl Krätzel, 22 Jungen und ein Mädchen zum Lehrabschluss als Schlosser führte. Jutta, geborene Altmann, wird beim Wiedersehen ausdrücklich vermisst, war aber auf den kursierenden Fotos der Vergangenheit immer sehr präsent, in der Lehrwerkstatt, vor dem Schmiedeamboss oder beim Arbeitseinsatz mit Schippe und Karre.

Neben dem Kramen in gemeinsamen von der Zeit verschönten Jugenderinnerungen, berichtet die Runde auch von den Höhen und Tiefen, die die einzelnen Lebenswege nach der Lehr- und Schulzeit ab 1964 nahmen. Sie verstreuten die einstige Truppe so ziemlich in alle Winde. Ein paar aber blieben im Waggonbau und da war immer die Große Halle ihr Platz. Umso schwerer fiel es Karl-Heinz Lehmann, Ekke-Niels Schmahlfeldt, Lutz Wehrmann und Harald Hochhäusler, den Niedergang ihres Lehrbetriebes nach 1990 mitzuerleben. Denn auf ihre Ausbildung hier lassen sie auch als „Goldene“ Abiturienten und Lehrlinge nichts kommen. Vom „Feilen in allen Lebenslagen“ bis zu „45 Sentenzen aus Goethes ’Faust’“ hat man alles mitbekommen, von Lehrmeistern, die „wohl fast alle mal bei Junkers waren“.

Gemeinsam mit der Gas Traction Companie Ltd. London gründete die Deutsche Continental-Gas-Gesellschaft aus Dessau 1895 die Deutsche Gasbahngesellschaft. 1900 wurde das Unternehmen zur Dessauer Waggonfabrik GmbH (DWF) umgewandelt und nach dem Krieg als Sowjetische Aktiengesellschaft SAG, von 1952 bis 1990 als volkseigener Betrieb VEB geführt.

Im November 1949 wurde die Betriebsberufsschule (BBS) der Waggonfabrik eröffnet, sie war die erste BBS in Dessau überhaupt und bildete bis zu ihrer Schließung 1990 über 4420 Facharbeiter und 711 Facharbeiter mit Abitur aus

Will heißen, sie waren gut. Von der Qualität der Berufsausbildung mit Abitur ist Lehrmeister Walter Schulze bis heute fest überzeugt. Schulze hatte in Magdeburg studierte, in Gotha seinen Ingenieurpädagogen gemacht. „Diese enge Verbindung von Theorie und Praxis“, weiß der Senior, der bis heute mit seiner Brigitte in Coswig lebt, „wird ja wieder interessant. Beginnend mit polytechnischem Unterricht, zur Lehre, ins Studium und zurück in den Betrieb. Vielleicht wird ja unser Bildungsmodell von einst wirklich noch einmal ’neu erfunden’?“

In der ganzen Welt verteilt

Der 64er Jahrgang freilich großteils ist in die Welt hinaus gezogen. Axel Finsch hat seinen Berufswunsch vom Lehrer verwirklicht (Mathe, Physik, Astronomie). Bernd Weber wurde Erzieher, dann Verwaltungsangestellter und zuletzt Weltenbummler in Tibet, Hans-Ullrich Schäfer studierte Wärmetechnik, Hartwich Reich zog es zur Handelsmarine und nach Rostock, Dieter Baier in die Umweltforschung und -technologie und dafür nach der Wende zu mehreren Projekten nach Südafrika. Sportass Egbert Müller studierte an der DHFK und war bis 2009 Sportlehrer.

Die Stunden beim Wiedersehen schienen dahinzugaloppieren. Der Riesenapplaus aber gehörte „unserem Walter“. Der Lehrmeister hatte aus seiner „Schatzkiste“ noch das Modell eines Waggons gezaubert. Und natürlich bekam Organisator Finsch einen Maschinenkühlzug, den letzten MKW470, das Flaggschiff im Waggonbau Dessau.

Zwölf dieser Lehrlinge, die 1964 ihre Berufsausbildung mit Abitur abgeschlossen haben, kamen zum Klassentreffen, das Axel Finsch (2.v.r.) und Bodo Scheidt (Mitte hinten) Sonnabend im Kornhaus organisierten hatte. Und sahen auch ihren Lehrmeister Walter Schulze (re.) wieder.
Zwölf dieser Lehrlinge, die 1964 ihre Berufsausbildung mit Abitur abgeschlossen haben, kamen zum Klassentreffen, das Axel Finsch (2.v.r.) und Bodo Scheidt (Mitte hinten) Sonnabend im Kornhaus organisierten hatte. Und sahen auch ihren Lehrmeister Walter Schulze (re.) wieder.
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