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Kartoffelbauer Kruses Neuanfang

Von Claus Blumstengel 28.04.2008, 17:49

Rodleben/MZ. - Wer, neugierig geworden, von der B 184 den Feldweg zur Bernsdorfer Heide abbiegt, wähnt sich nach wenigen Metern in Norddeutschland. Ein Steingarten mit blühendem Heidekraut, ein Rondell mit einem historischen Meilenstein im Zentrum, gekreuzte Pferdeköpfe über dem Eingang zum Stall, grün gestrichene Türen und Tore, und wenn dann Bauer Heinrich Kruse bei seiner Schwester Klara noch auf Platt einen Kaffee bestellt, dann ist der Eindruck komplett.

"Das verdient hohe Anerkennung, was Landwirt Kruse in wenigen Jahren auf diesem Grundstück geschaffen hat", sagt der Rodlebener Ortsbürgermeister Frank Rumpf über das mustergültige Anwesen. Dabei war das erste Kapitel des neuen Kruse-Hofes mehr als traurig.

Seit Generationen bewirtschaftete die Familie einen Bauernhof im münsterländischen Bocholt. Dann sollte quer über die Äcker eine Autobahn mit angrenzendem Gewerbegebiet gebaut werden. "Wir mussten unseren Hof 1995 verlassen", berichtet Heinrich Kruse. Doch wohin? Schließlich war der Landwirt damals schon 50.

In einer Fachzeitschrift las er vom Verkauf des zum Impfstoffwerk gehörenden ehemaligen Gutes Tornau. Bauer Kruse machte sich auf den Weg nach Rodleben und war erstmal erschüttert. Auf 15 000 Quadratmetern umwucherte mannshohes Unkraut einen verfallenen, riesengroßen Schweinestall. Der Stall für 50 Pferde dahinter sah nicht weniger verheerend aus. Es gab weder Strom noch Wasser. Die Äcker mit der geringen Bonität (Wert für die Fruchtbarkeit) von 30 lockten auch nicht gerade zum Kauf, zudem zerschneidet die Eisenbahnlinie das Land. 40 Interessenten hätten vor ihm schon auf dem Absatz kehrt gemacht, sagte damals der Liquidator.

Heinrich Kruse aber blieb, wohnte mit seiner Schwester und seinem Mitarbeiter Stefan Tewordt aus Bocholt vier Jahre lang in einer Pension in Roßlau. Er steckte alles Geld aus dem Bocholter Anwesen in den künftigen Bernsdorfer Hof, nahm noch Kredite auf, stellte acht Leute ein, begann mit ihnen die lange schon brach liegenden, teilweise mit Schutt bedeckten Äcker wieder urbar zu machen, baute den Schweinestall zu einem gemütlichen Wohnhaus um, setzte den Pferdestall instand und errichtete eine geräumige Lager- und Kartoffelsortier-Halle mit moderner Belüftung für Getreide, eine Werkstatt sowie ein Kühlhaus für die Knollen. "Wir fühlten uns wie Pioniere, es konnte eigentlich nur besser werden", blickt der Landwirt zurück.

Bewusst habe er auf staatliche Fördergelder verzichtet, sagt Kruse. "Ich verlange vom Staat nichts. Er soll mich als Unternehmer nur wirtschaften lassen", lautet seine Devise.

"Das ist eine echte Mannschaftsleistung", weist er auf das schmucke, farbenfrohe, piksaubere Anwesen. "Wir legen großen Wert auf Ordnung und Sauberkeit, das fällt unseren Kunden sofort auf", äußert der Landwirt. Die Kunden kommen mittlerweile nicht nur aus Dessau-Roßlau, auch Käufer aus der Köthener Gegend, aus Zerbst und dem Fläming holen sich hier Kartoffeln, das Hauptprodukt des Bauernhofes, Futterrüben, Heu, Stroh, Hafer und Mischfutter. Bei den Futtermitteln habe man sich auf Kunden spezialisiert, die nur ein oder zwei Pferde im Stall haben, wenige Kaninchen Ziegen oder Schafe halten. Die würden hier auch Kleinstmengen bekommen, mit denen sich, so Kruse, manch großer Agrarbetrieb gar nicht abgibt.

Nach der Wende seien viele "Goldgräber" aus dem Westen in die neuen Bundesländer gekommen, weiß der Landwirt. "Mir ging es aber nicht darum, hier das schnelle Geld zu machen. Dann hätte ich das Gut Tornau nicht kaufen dürfen", meint Kruse. Er legt Wert auf Stammkunden, die den Hof weiter empfehlen, wie etwa Ardin Schneeweiß, der mit dem Auto aus Dessau herübergekommen ist, um für seine Familie wie schon oft einen Sack Kartoffeln zu holen. Auf einer Tafel liest er, wie die auf dem Kartoffelhof Kruse angebaut werden. Liebevoll instand gesetzte und frisch gestrichene historische Erntemaschinen und Geräte sorgen zudem für einen kurzweiligen, interessanten Einkauf.

Die Maschinen seien beim Umzug zur 700-Jahr-Feier von Rodleben zu sehen gewesen, wie auch auf dem Erntedankfest im Oktober und dem Leopoldsfest in Dessau, berichtet Bauer Kruse. Mit der Aufschrift "Auch Fürst Leopold würde heute Kruses Kartoffeln essen", hat der Landwirt dort zwar kräftig Werbung für seine nahrhaften Knollen gemacht, doch sei das keineswegs der Hauptgrund für seine Teilnahme gewesen.

Es stimme schon, das Anwesen liege ziemlich einsam, weitab von den nächsten Orten Rodleben, Tornau und Roßlau, räumt er ein. Deshalb komme es darauf an, "dass man sich nicht einigelt", zumal sie in ihrer alten Heimat nichts zurückgelassen und hier den vollkommenen Neuanfang gewagt haben. Recht bald hätten die Kruses Kontakt gefunden, so zu Kirchengemeinden in Roßlau und Zerbst. Auch wenn im Ortsteil Rodleben oder in Dessau mal seine Mitwirkung gefragt ist, sei er gern dabei. "Wir fühlen uns sehr wohl hier, den Schritt haben wir nie bereut", sagt Bauer Kruse.

Von den 300 Hektar des Kruse-Hofes, auf denen außer Kartoffeln und Futterrüben noch Raps, Weizen, Gerste, Roggen, Hafer und Körnermais angebaut werden, liegt kein Acker brach. Zwar müssen seit diesem Jahr Landwirte in der EU nicht mehr ein Zehntel ihrer Flächen brach liegen lassen, aber schon vorher kassierte Kruse keine Stilllegungsprämien. "Das widerspricht der Natur des Bauern. Der will sein Land doch kultivieren", ist er überzeugt. Kruse baute auf dem Zehntel Raps für Biodiesel an; denn nachwachsende Rohstoffe waren erlaubt.

Angesichts der Preissteigerungen richte die Politik ihren Blick jetzt plötzlich auf die Landwirtschaft. "Bei aller Kritik wird vergessen, dass sich die Preise für Düngemittel fast verdoppelt haben und auch die Kosten für Energie und Diesel kräftig gestiegen sind", gibt Heinrich Kruse zu bedenken.

Über Jahre sei die Landwirtschaft in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden, stellt er fest. "Wir hatten den Eindruck, unsere Produkte, unsere Arbeit hätten keinen Wert", kritisiert er. Diese Zeit sei aber vorbei, und er hoffe, dass es für die Landwirte nun besser läuft.