Die Drähte glühen Die Drähte glühen: Wie Arbeitsagentur und Jobcenter in Anhalt die Corona-Herausforderung meistern

Dessau - Der Samstag war für einige Mitarbeiter der Arbeitsagentur Dessau-Roßlau-Wittenberg ein Arbeitstag. Wie auch der vorige Samstag schon. Ihre Aufgabe: Die Bearbeitung der Kurzarbeitergeldanträge.
Die sind in den letzten beiden Wochen zahlreich eingegangen - rund 2.000 Unternehmen wollen dieses Hilfsinstrument in Anspruch nehmen. In der Hoffnung, damit über die auftragslose Zeit zu kommen, ohne Mitarbeiter entlassen zu müssen. Ob das gelingt? „Das ist noch nicht absehbar“, sagt Torsten Narr, Chef der Arbeitsagentur.
Etwa 20 Prozent der Betriebe der Region haben bisher Kurzarbeitergeld beantragt. „Fast jede Wirtschaftsbranche ist betroffen, auffällig hoch ist der Anteil schon jetzt im Hoga-Bereich und im Einzelhandel, aber auch Produktionsbetriebe sind dabei.“ Ausnahmen bildeten laut Narr lediglich der Online-Handel sowie ein Teil der Logistikbranche.
Viele kleine Unternehmen greifen nach dem Strohhalm Kurzarbeit
Viele kleine Unternehmen greifen nach dem Strohhalm Kurzarbeit. „Die trifft es diesmal schwer im Unterschied zur Wirtschaftskrise 2008“, meint Narr. Wie viele Beschäftigte hinter den 2.000 Kurzarbeit-Anzeigen der Unternehmen stehen, vermag die Agentur zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu sagen. „Es sind ja noch nicht alle bearbeitet, so dass wir die Betriebsgrößen noch nicht kennen.“
Der Agenturchef rechnet in den nächsten Wochen mit einem weiteren Anstieg der Zahl der Anträge auf Kurzarbeitergeld. Ebenso auf Arbeitslosengeld. „Wir registrieren einen Anstieg der telefonischen Arbeitslosmeldungen. Wir können zwar noch keine Zahl sagen, aber es sind auf jeden Fall viel mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres“, erklärt der Agenturchef.
Die Zahl der Mitarbeiter, die am Telefon sitzen, wurde aufgestockt
Die Kundenkommunikation findet seit dem 18. März in der Agentur und auch im Jobcenter Dessau-Roßlau ausschließlich telefonisch oder per Mail statt. „Das hat am Anfang geholpert, jetzt läuft es gut“, schätzt Torsten Narr ein. Damit es funktioniert, wurde die Arbeitsweise verändert: Die Zahl der Mitarbeiter, die am Telefon sitzen, wurde aufgestockt. Rund 25 bedienen die lokale Hotline-Nummer (Montag bis Freitag, 8 bis 18 Uhr), 15 Mitarbeiter verstärken das Team, das die Kurzarbeitgeldanträge bearbeitet. „Sie sind sonst in der Beratung oder Vermittlung tätig, wir haben sie für die Telefonie geschult“, erklärt Torsten Narr.
Arbeitsvermittlungen finden indes auch in diesen Zeiten statt. Laut Agenturchef gibt es Arbeitskräftebedarf in der Landwirtschaft, im Bereich Transport und Logistik, im Gesundheitswesen und im Einzelhandel für die Randzeiten.
Um ein Vielfaches erhöht hat sich auch das Arbeitsaufkommen im Jobcenter. „Auch wir haben unsere Arbeitsabläufe umgestellt, haben jetzt statt vier 15 Mitarbeiter im Telefondienst, die wochentags von 8 bis 18 Uhr erreichbar sind“, erklärt Jobcenterchefin Ines Blaschczok. Das Anrufaufkommen liegt im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 30 Prozent höher, schätzt sie. „Die Nachfrage nach Grundsicherung steigt“. Eine Differenzierung sei aber erst Ende April möglich.
Antragstellung auf Grundsicherung wurde vereinfacht
Den Zugang zu Leistungen der Grundsicherung hat der Gesetzgeber erleichtert. Das so genannte Sozialschutzpaket ist seit dem 27. März in Kraft. Demnach entfällt bis zum 30. Juni die Vermögensprüfung, das heißt, Erspartes darf behalten werden. Die Kosten der Unterkunft werden in der tatsächlichen Höhe übernommen, die Prüfung des angemessenen Wohnraumes entfällt. Das gilt auch für Wohneigentum. „Eine Nachweispflicht der tatsächlichen Wohnkosten inklusive Heizung gibt es aber dennoch“, erklärt Blaschczok.
Weiterbewilligungsanträge müssen bis zum 30. August nicht gestellt werden. Die bestehenden Bescheide bis zu diesem Tag behalten ihre Gültigkeit. Bei aller Vereinfachung des Verfahrens macht die Jobcenterchefin aber darauf aufmerksam, dass „die Bedürftigkeitsprüfung bei Erstanträgen nicht entfallen kann“. Die Einkommensverhältnisse der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft müssen dem Jobcenter dargestellt werden, entsprechende Nachweise beigefügt. „Erst wenn der Antrag vollständig vorliegt, können wir ihn bearbeiten“, betont Blaschczok.
Das Sozialschutzpaket mit seinen Neuregelungen zur Grundsicherung ist insbesondere für folgenden Personenkreis gedacht:
Kurzarbeitende oder Beziehende von Arbeitslosengeld deren Einkommen so stark verringert ist, dass Sie den Lebensunterhalt Ihrer Familie nicht mehr sichern können.
Freiberufler, Solo-Selbständige oder Kleinunternehmer in finanzieller Not, weil Sie einen Großteil der Aufträge verloren ging.
Kontakt zum Jobcenter Dessau-Roßlau: 0340/5021999 oder über Hotline: 0800/4555523. Antrag Alg II: www.arbeitsagentur.de/corona-grundsicherung.
Für Familien, die durch die Corona-Pandemie zu Einkommenseinbußen kommt, wurde im Rahmen des Sozialschutzpaketes der Kinderzuschlag umgestaltet zum „Notfall-KiZ“. Er kann beantragt werden, wenn das Einkommen nicht für den Lebensunterhalt der Familie ausreicht. Er beträgt monatlich 185 Euro. Antragstellung ist online oder in Papierform an die Familienkasse möglich.
Weitere Infos und Antrag unter: https://www.arbeitsagentur.de/familie-und-kinder/notfall-kiz oder Telefon: 0800/4555530.
Die Arbeitsagentur ist erreichbar: 0340/5021451, 0800/4555500 sowie für Arbeitgeber unter 0800/4555520.
Die Beratung am Telefon sei für Kunden und Mitarbeiter gleichermaßen eine Herausforderung
Wer Fragen zum Alg II- Antrag hat, wird beraten: Auch dies erfolgt am Telefon. „Wir vereinbaren auf Wunsch Beratungstermine, aber auch für Rückfragen unsererseits brauchen wir unbedingt eine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse, sonst bleibt nur der lange Postweg“. Die Beratung am Telefon sei für Kunden und Mitarbeiter gleichermaßen eine Herausforderung. „Aber ich bin begeistert, wie verständnisvoll die Kunden uns gegenüber sind.“
Anträge auf Alg II können auch in den Briefkasten am Gebäude geworfen werfen. „Der wird stündlich geleert und sofort bearbeitet“. Um die Bearbeitungszeit so kurz wie möglich zu halten, habe man das Einscannen für die e-Akte nach hinten geschoben, erklärt Blaschczok. „Wir bearbeiten den Antrag herkömmlich und machen erst dann den e-scan, damit sparen wir drei bis sechs Tage.“ (mz)