Dessau Dessau: Tumulte bei Gedenkfeier zum Todestag Oury Jallohs

Dessau/MZ. - Am Ende liegt der Bilderrahmen leer und verkehrt herum auf der Treppe am Haupteingang des Dessau-Roßlauer Polizeireviers. Das Bild, das in ihm steckte, wurde von einem 42 Jahre alten Mann herausgerissen. Mit wutverzerrtem Gesicht erklärt der Mann, den alle Abraham rufen und der äthiopische Wurzeln hat, dass die Umstehenden keinen Anspruch auf dieses Jalloh-Bild hätten und dass es in Dessau keinen Ort der Trauer geben kann - solange nicht die Todesumstände Oury Jallohs geklärt sind.
Abraham, aufgebrachtes Mitglied der Berliner Initiative im Gedenken an Oury Jalloh, beschimpfte am Montagvormittag so ziemlich alle, die sich vor dem Polizeirevier versammelt hatten und eigentlich in Erinnerung an den achten Todestag des Asylbewerbers aus Sierra Leone ein Licht entzünden wollten. Am Montag vor acht Jahren war Oury Jalloh in einer Gewahrsamszelle im Revier in der Wolfgangstraße verbrannt. Noch immer ist nicht endgültig geklärt, wer an seinem Tod Schuld trägt.
Abraham und weitere Mitglieder der Berliner Initiative im Gedenken an Oury Jalloh sorgen dabei für einen Eklat. Gerade will Pfarrerin Elisabeth Preckel an den Asylbewerber erinnern, da wird sie jäh unterbrochen und beschimpft. Das Kreuz möge sie erschlagen, ruft Abraham - und hinter dem Mann wird ein Sprechchor immer lauter: "Oury Jalloh - das war Mord". Als der 42-Jährige schließlich Polizeipräsident Michael Schulze ins Kreuzverhör nimmt und eine körperliche Auseinandersetzung befürchtet werden muss, schreitet Moctar Bah, Jallohs Freund, ein - ohne Erfolg. Nach Michael Schulze wird Dessau-Roßlaus Oberbürgermeister Klemens Koschig verbal angegriffen. Das Stadtoberhaupt muss sich anhören, dass "Oury Jalloh noch immer nicht seinen Frieden finden" konnte. Die Veranstaltung sei scheinheilig, sagt der Mann aus Berlin. Wenn schon ein Gedenken stattfinde, dann sollte man allen gedenken, die seiner Meinung nach die "Polizei auf dem Gewissen" habe. Nach Meinung der Initiative gebe es noch zwei weitere Opfer aus den Jahren 2002 und 1997. Abraham erinnert unter anderem an Mario Bichtemann. Der Dessauer wurde 2002 in der Antoinettenstraße hilflos gefunden. Er sollte in der Zelle im Polizeirevier ausnüchtern. Am nächsten Mittag war Bichtemann tot. Die Staatsanwaltschaft hatte nach langwierigen Ermittlungen ein Verfahren eingestellt.
Im Verlaufe der gestörten Gedenkveranstaltung schickten die wenigen Mitglieder der Berliner Initiative alle Umstehenden weg vom geplanten Ort des Gedenkens. Die meisten der Akteure wie der Ausländerbeauftragte, Vertreter von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalttaten, dem Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus, der Deutsch-Afrikanischen Initiative, des Evangelischen Kirchenkreises, des Migrantenrates und des Netzwerkes "Gelebte Demokratie" waren sprachlos über den Schlag ins Gesicht und sie gingen - um des Friedens willen.
Dass hier jemand einen Ort nur für sich an Anspruch nimmt, mache sie sprachlos, sagte eine sichtlich schockierte Pfarrerin Elisabeth Preckel. "Bestimmte Dinge muss man aushalten", meinte Dessau-Roßlaus Oberbürgermeister Klemens Koschig und hoffte darauf, dass sich die Polizei auf die am Nachmittag folgende Demonstration gut vorbereitet hat.
Stunden nach dem Vorfall setzte Mika Kaiyama im Namen des Dessau-Roßlauer Migrantenrates ein Hoffnungszeichen: Sie könne die Verzweiflung nachvollziehen, sagte Kaiyama. Aber Demokratie macht eben auch aus, dass man einander zuhört. "Wir müssen trotz des Vorfalls nach einer Möglichkeit suchen, wie wir miteinander auskommen und reden können."