Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Von Matthisson bis Flakkaserne
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Beim Blättern im Anhaltischen Kalender für das Jahr 1931, "des Anhalt-Dessauischen Kalenders neue Folge 166. Jahrgang", finden sich Rubriken wie: Märkteverzeichnis für Anhalt; Bauernregeln; Entfernungen in die Umgebung von Dessau; Trächtigkeits- und Brütekalender; Der Garten der Landfrau; Die Gartenarbeit des Jahres; Garten, Haus und Küche; Landwirtschaftliches; Postgebührentarif; Allgemeine Personen- und Frachttarife; Zinsenberechnungstabelle. Auch Gedichte und Witze sind abgedruckt. Reichlich Werbung füllt die 88 Seiten, aber nur ein einziges Foto. Alle anderen Illustrationen sind gezeichnet. In den heimatlichen geht es u.a. um die Siegel- und Wappengeschichte der anhaltischen Städte, den Elbebiber und seinen Schutz, die Vogelwelt der Elbaue, um das älteste Haus in der Dessauer Kreuzgasse. Bis zum Kalender 1942 - dem letzten Jahrgang der Reihe - blieben die Rubriken und das äußere Erscheinungsbild weitgehend erhalten.
Inhaltlich wie äußerlich ein Riesenunterschied der Dessauer Kalender 2011. Der konzentriert sich ausschließlich auf Heimatgeschichte, und zwar auf hohem Niveau. Dazu Hochglanzpapier, toller Farbdruck, modernes Layout, reich illustriert, doppelt so dick.
Jubliäen nahe gebracht
Eine Reihe von Beiträgen hat Jubiläen zum Anlass. So der Eingangsaufsatz, ein Lebensbild des Dichters Friedrich von Matthisson (1761-1831) zum 250. Geburtstag. Mit dem Christian Eger - in Dessau aufgewachsener Germanist und Kulturjournalist der Mitteldeutschen Zeitung - den etwas vergessenen Matthisson wieder ins Licht rückt. Trefflich eingeleitet wird die Abhandlung mit dem Titelbild. Es zeigt das Schloss Luisium, davor sitzt in Form eines Scherenschnitts Matthisson, wirkungsvoll die Seelenverwandtschaft mit der Fürstin Louise, deren enger geistiger Partner er war, andeutend.
Ebenso wie Eger fügt die Wörlitzer Lehrerin i.R. Brunhild Höhling einen weiteren Baustein über die Franz-Zeit hinzu, indem sie mit der Fürstin von Anhalt-Dessau Gisela Agnes (1722-1751), Mutter des Fürsten Franz, vertraut macht.
Am 19. Januar 1911 wurde auf der Strecke zwischen Dessau und Bitterfeld der elektrische Zugverkehr aufgenommen. Ein Anlass, auf die regionale Eisenbahngeschichte der vergangenen 100 Jahre zurückzublicken. Dies übernimmt Helmut Kintscher, ein Rentner, der viele Jahre lang als Dessaus Bahnhofschef fungierte.
Die in Waldersee wohnende Kunsthistorikerin Bettina Schröder-Bornkampf erinnert an weitere Jubiläen: 2011 wären die Dessauer Maler Carl Marx, Erich Schmidt-Uphoff und Paul Schwerdtner 100 Jahre alt geworden.
Die Erinnerung an die Kunsthistorikerin Dr. Sibylle Harksen, die 80 Jahre alt geworden wäre, hält das Familienmitglied Gesine Hübner wach. Sibylle Harksen wurde 1931 in Dessau geboren, als erstes von vier Kindern des Ehepaares Hans und Marie-Luise Harksen. Dr. Hans Harksen war auch der Vater des Dessauer Kalenders. Als Stadtarchivar editierte er 1957 den ersten Jahrgang und etliche weitere Kalenderjahrgänge.
Der Landschaftsplaner Dr. Lutz Reichhoff, der wiederholt mit seinem Fachwissen über die Gebiete an Mittelelbe und untere Mulde den Kalender bereicherte, fügt einen weiteren Teil über deren Entwicklung im 17. / 19. Jahrhundert hinzu. Auf Friedrich Ebert eingeschworen sind der Archivar Dr. Rainer Haus und der Rundfunkjournalist Hans Sarkowicz. Als Dank für die Unterstützung bei den Recherchen im hiesigen Stadtarchiv stellten sie einen Beitrag über den Staatsbesuch des Reichspräsidenten 1922 in Dessau und Anhalt zur Verfügung.
Mit vielen Erinnerungen
Ähnlich verhielt sich Michael Thomas, Experte für Sportgeschichte an der Uni Magdeburg, der die Tätigkeit des Leibeserziehers, Orthopäden und Leutnants Johann Adolf Werner in Dessau (1839-1863) beleuchtete. Während die Würzburger Prof. i.R. Dr. Trude Ehlert, Fachfrau für mittelalterliche Literatur, in der Wissenschaftlichen Bibliothek der Anhaltischen Landesbücherei Dessau auf eine Handschrift eines alten Kochbuches stieß. Dagegen konnte der betagte Rentner Martin Händler bei seinem Rückblick auf die Kochstedter Flakkaserne viel noch aus eigener Anschauung einfließen lassen - Händler wuchs in Kochstedt auf.
Abschließend noch einmal Bettina Schröder: Sie besuchte zum Auftakt der neuen Kalender-Serie "Atelierbesuche" den Dessauer Keramiker Fred Lange. Traditionell vervollständigt Stadtarchivar Dr. Frank Kreißler den Kalender mit der Auswahl anstehender Jubiläen.
Alles in allem: Vielfalt in Themen und Zeitaltern und erfreulich viel Menschendarstellung.
Dessauer Kalender 2001, 55. Jahrgang, Herausgeber: Stadt Dessau-Roßlau Stadtarchiv, 168 Seiten, Preis: 8 Euro.