Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Sentimentaler Abschied
DESSAU/MZ. - Da blutet einem schon ein bisschen das Herz. Kommentar auf Kommentar ging ein. Irgendwann staunte eine nur noch über die erwachsenen Männer: "Man Jungs, seid ihr sentimental."
Stadtteilhaus ohne Stadtteil
Die Sentimentalität hat Gründe. Am 10. Februar 2007 hat das Haus Kreuzer seine Türen geschlossen. Fast genau vier Jahre später sind in dieser Woche die Bagger angerückt und haben den ehemaligen Jugendclub abgerissen. Der war ganz am Ende ein Stadtteilhaus, dem der Stadtteil abhanden gekommen war und mit ihm die Jugendlichen, die den Club hätten nutzen können.
Die Facebook-Fotos dokumentierten das Ende eines geschichts- und geschichtenträchtigen Objekts. "Der Wehmut zeigt, dass das, was wir gemacht haben, in den Köpfen geblieben ist", sagt Olaf Bülow, der langjährige Chef. "Immerhin ist das alles schon vier Jahre her. Es gibt Jugendclubs, deren Schließung heute weniger Aufsehen erregen würde."
Das Haus Kreuzer im Heinz-Steyer-Ring 78 war am 1. Juli 1987 geöffnet worden. "Wir haben es selbst mit aufgebaut", erinnert sich Olaf Bülow. "Nun auch beim Abriss dabei zu sein, das ist schon ein komisches Gefühl." Zwanzig Jahre lang war der Club der Anlaufpunkt schlechthin auf den Kreuzbergen. Für die Jugendlichen aus Dessau. Vor allem aber auch für Bands aus dem ganzen Osten.
"Das Haus Kreuzer war immer dem Kulturamt zugeordnet", erinnert sich Bülow. "Das hat Dinge möglich gemacht, die anderswo nicht möglich waren." Die Anderen, Andre Herzberg, Subway to Sally, Dirk Michaelis, City, Keimzeit, Gerhard Gundermann, Inchtabkatables, Sandow, Dirk Zöllner, WBS 70, Stern Meissen, Achim Menzel, Arnulf Wenning, Vicki Vomit, Down Below, Feeling B, Tino Standhaft. Wer in der DDR einen Namen hatte, der stand irgendwann einmal auf der Bühne des kleinen Clubs. Manche Karriere hat hier begonnen.
"Burghard Duhm war der Booker der ersten Stunde. Der hat unseren damaligen Chef fast zum Wahnsinn getrieben. Wir waren immer ein Unruheherd", erinnert sich Olaf Bülow, durchaus stolz, "dass vieles das Haus Kreuzer überdauert hat".
Der Band-Wettbewerb "Local Heroes", den es jetzt im Beatclub gibt. Die Weihnachtsrevue der Tanzgruppe "Holiday", die gerade erst wieder in der Marienkirche viel hundert Kinder begeistert hat, das Kiez-Kino, die Salsa-Tanz-Kurse, die Black-Beat-Night. "Vieles hat bei uns angefangen." Und wenn Burghard Duhm nun am Bauhaus einer der Männer ist, die bei der neuen ZDF-Konzertreihe bauhaus@zdf dabei sind, dann schließt sich auch da ein Kreis.
Das Ende des Hauses Kreuzer hatte sich irgendwann angedeutet. Das Wohngebiet drum herum schrumpfte und schrumpft. "Gerade wird der nächste Wohnblock zum Abriss vorbereitet", beschreibt Olaf Bülow einen Stadtumbau, der auf den Kreuzbergen nur noch Wiesen übrig lässt. "Der Jugendclub hatte sich überlebt." Als der Sanierungsbedarf immer größer wurde, musste eine Grundsatzentscheidung her. Die fiel gegen das Haus Kreuzer.
Erinnerungen an Noa
Bülows Abschied hat vor vier Jahren stattgefunden. "Das Haus damals zuzuschließen war schwer." In der Erinnerung aber bleiben viele kleine und große Dinge - und ein ganz spezielles Konzert. Noa, eine israelische Künstlerin, spielte 1994 im Rahmen des Kurt-Weill-Festes im Haus Kreuzer. "Die kam damals aus New York über Berlin direkt in die Dessauer Plattenbauten und stand dann plötzlich in unserem Club", erinnert sich Bülow an einen echten Kulturschock - und einen faszinierenden Auftritt. "Ein Menschenkind mit Gold in der Kehle" staunte damals die MZ. Die handsignierte Noa-CD steht noch heute ganz oben in Bülows Regal.
Vielleicht aber wird die CD ja noch einmal rausgeholt. Bei Facebook haben die Kreuzer-Fans von einst eine Abschiedsparty vorgeschlagen. Spät, aber vielleicht noch nicht zu spät.