Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Schließung als Chance?
dessau/MZ. - Die Empörung war groß in den Ortschaftsräten von Mosigkau und Waldersee. Das Verständnis für das Papier, das ihnen da vorgelegt wurde, war entsprechend gering: Die Jugendklubs beider Ortschaften sollen geschlossen werden. So schlägt es der Entwurf der Jugendhilfeplanung vor. Die beiden Einrichtungen sind nicht die einzigen, deren Standorte von Veränderungen betroffen sein werden.
Mario Wegener, Jugendhilfeplaner in der Verwaltung des Jugendamtes, kann die heftigen Reaktionen in den Vororten verstehen. "Aus Sicht der Ortschaftsräte ist die Reaktion verständlich, aber man muss diesen Plan gesamt-städtisch betrachten."
MZ-Redakteurin Sylke Kaufhold schaute hinter die Thesen des Papiers und sprach mit Mitgliedern der Arbeitsgruppe Jugendhilfeplanung: mit Jugendamtsleiterin Heike Förster, Mario Wegener, Jugendamt, Jan Geier, Behindertenverband, und Frank Spengler, Urbanistisches Bildungswerk.
Wer ist die Arbeitsgruppe?
Wegener: Das ist ein elfköpfiges Gremium, bestehend aus Mitgliedern der Verwaltung des Jugendamtes, des Jugendhilfeausschusses und von freien Trägern, die vom Jugendhilfeausschuss beauftragt wurden, die Jugendhilfeplanung zu überarbeiten.
Warum wurde die Überarbeitung notwendig?
Förster: Aktueller Anlass war der Stadtratsbeschluss zur Haushaltskonsolidierung im Jahr 2010. Danach sind im Bereich der offenen Jugendarbeit 100 000 Euro einzusparen. Damit dies nicht ins Blaue hinein passiert, hat man sich im Jugendhilfeausschuss für die Fortschreibung der Planung entschieden. Dafür eine paritätisch besetzte Arbeitsgruppe zu gründen, war ebenfalls ein Beschluss des Ausschusses.
Wegener: Die bisherige Jugendhilfeplanung stammt aus dem Jahr 2005. Inzwischen sind Dessau und Roßlau fusioniert, hat sich die demografische Entwicklung verändert, auch das Nutzerverhalten der Kinder und Jugendlichen ist ein anderes geworden. Das heißt, die Planung war nicht mehr auf dem aktuellen Stand.
Heißt das, die neue Jugendhilfeplanung ist ein reines Sparprogramm?
Geier: Wir haben nicht ausschließlich den Rotstift angesetzt. Das haben wir nicht als unsere Aufgabe gesehen. Vielmehr ging es uns um einen effektiveren, bedarfsorientierten Umgang mit dem, was wir haben.
Wegener: Um den aktuellen Bedarf in den Stadtteilen zu ermitteln, haben wir Kennziffern zugrunde gelegt, wie die Prognose der Zahl der Kinder und Jugendlichen bis 2020, die Zahl der Arbeitslosen unter 25, die Zahl der Bedarfsgemeinschaften und die Anzahl der Familien, in denen Hilfen zur Erziehung geleistet werden.
Geier: Wir reden also von einem sozialen Bedarf und sozialen Problemlagen und davon, wo Jugend-Hilfe wirklich benötigt wird.
Wegener: Bei der Auswertung dieser Kennziffern haben sich in einigen Betrachtungsräumen ganz klare Tendenzen herauskristallisiert. So sind die Schwerpunkte der Stadtteil Roßlau sowie die Stadtgebiete innerstädtisch Nord, Mitte, Süd und Zoberberg. In den Vororten indes gibt es aus der Sozialsicht heraus diesen Bedarf in dieser Form nicht.
Wenn aber das gut Funktionierende zerschlagen wird, besteht dann nicht die Gefahr, dort die Saat für neue "Brennpunkte" zu legen?
Förster: Nur weil Standorte von Jugendeinrichtungen geschlossen oder verlagert werden, heißt das doch nicht, dass alles, was dort an Jugendarbeit lief, zerschlagen wird. Es sollen neue Formen gefunden werden, denn Jugendfreizeit beschränkt sich nicht nur auf Räumlichkeiten. Unabhängig davon können die Ortschaften ja trotzdem noch Freizeitangebote für ihre Kinder und Jugendliche unterbreiten, aber eben nicht als Leistung der Jugendhilfe, denn das sind sie nach dem Sozialgesetzbuch VIII auch nicht.
Wegener: Wir haben festgestellt, auch die Mitarbeiter in den Einrichtungen, dass die derzeitigen Angebote mit den Bedürfnissen der Jugendlichen nicht übereinstimmen. Es ist an der Zeit, Methodik und Form zu überdenken.
Wie ist das zu verstehen?
Wegener: Unsere Maxime bisher war die Quantität, eine Einrichtung in jedem Stadt- oder Ortsteil. So haben wir in den 25 Stadtbezirken 16 Jugendeinrichtungen. Dieser Quantität fiel jedoch die Qualität der Arbeit zum Opfer, weil es zum Beispiel überwiegend nur eine Fachkraft pro Einrichtung gibt. Aufgrund der beschriebenen Veränderungen müssen wir die Qualität erhöhen, zum Beispiel mit zwei Mitarbeitern pro Einrichtung - das geht nur auf Kosten der Standorte.
Warum?
Geier: Weil wir uns im vorgegebenen Personalkostenrahmen bewegen müssen. Das heißt, wir mussten das Personal, das da ist, effektiver einsetzen.
Welchen örtlichen Rahmen hat die neue Planung?
Wegener: Wir haben uns auch an den Schuleinzugsgebieten orientiert und sind damit von der bisherigen Kleingliedrigkeit weggekommen. Wir haben Stadtteile zusammengeführt, denn größere Räume erlauben mehr Flexibilität.
Wozu ist die notwendig?
Förster: Jugendhilfe soll sich künftig nicht mehr nur in den Jugendklubs abspielen. Wir wollen vielmehr alle Akteure der Kinder- und Jugendarbeit eines Planungsraumes, Schule, Sportverein, Feuerwehr usw. vernetzen. Aus den Einrichtungen heraus soll es außerdem mobile Angebote in den Gebieten geben. Es geht also um neue Formen der Jugendarbeit. Für diese sollte man offen sein und nicht nur die Schließung von Standorten sehen, sondern auch die Chancen, die sich daraus ergeben.
Spengler: Das Neue mit Leben zu erfüllen, sollten die Akteure vor Ort als gemeinsame Aufgabe sehen. Denn Ziel ist einzig und allein eine bedarfsgerechte Jugendhilfe.
Gibt es ein echtes Problemgebiet?
Spengler: In Innerstädtisch Süd haben wir ein großes Problem. Denn dort gibt es einen großen sozialen Bedarf, aber keinerlei Angebote, die maximiert werden könnten. Es gibt kein geeignetes Objekt, keinen Träger und bisher auch keine Idee. Die Heideschule wurde ja nicht weiterverfolgt.
Wie geht es mit dem Entwurf der Jugendhilfeplanung weiter?
Wegener: Die Dessau-Roßlauer Ortschaftsräte haben jetzt bis zum 1. März Zeit, ihre Stellungnahmen abzugeben. Diese werden anschließend im Unterausschuss Jugendhilfeplanung zur Abwägung gebracht. Der Jugendhilfeausschuss beschäftigt sich im April damit. Stimmt er zu, kommt die Vorlage in den Stadtrat.