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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Rumpfheben für die Zukunft

Von Thomas Altmann 22.04.2012, 18:39

Dessau/MZ. - Was willst du werden? Das ist eine geräumige Frage, eine, die ins Fantastische laufen, eine, die Druck aufbauen kann, auch wenn sie begrenzt wird auf die Wahl des Berufes, der wiederum einiges in die Zukunft legt. Und überhaupt: Kann ich wollen, was ich will? Sie soll wollen, Jule, 15 Jahre alt; und das Zappeln beginnt.

"Probetraining - mach Dich fit für Deine Ausbildung", heißt recht provokativ agitatorisch ein Stück von und mit dem Jugendclub des Anhaltischen Theaters, sukzessiv erarbeitet unter Leitung von Theaterpädagogin Imme Heiligendorff. Wenn ein jugendliches Bühnenwerk von der Agentur für Arbeit Dessau-Roßlau und dem Verein der Wirtschaftsjunioren Dessau unterstützt wird, ist interessengeleitetes Wollen zu vermuten.

Die Situation scheint klar. Bildung kostet, Umwege noch mehr und mit der Jugend werden die Fachleute knapp, auch hierzulande. Es sei eine völlig andere Situation als noch vor einigen Jahren, sagte Sabine Edner, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit, im Gespräch nach der Premiere am Freitag im Alten Theater. Auch ermunterte sie die Jugend -"Ich habe hier eine Zukunft." - zu bleiben. Doch die "Berufswahl-Entscheidung sollte stimmen". "Keine Zeit… Nicht ein Jahr", ist auch zu vernehmen. Dennoch zeigt sie sich, wie Berufsberaterinnen und Wirtschaftsjunioren auch, beeindruckt von einem Stück, das eben nicht schnurgerade in eine knallhart kalkulierte Zukunft läuft.

Trendy und ein wenig herzlich zickig tritt Jule auf, souverän gegeben von Friederike Thaus. Vater (Erik Alsleben), Bier trinkend, und Mutter (Anja Baumgart), Hausfrauen-Haar frisierend, wollen in die Zukunft ihrer Tochter greifen und delegieren doch nur das Problem, indem sie einen Gutschein für ein Probetraining kauften. Widerwillig geht Jule ins Studio. Schön versetzte, zögernd forsche Leibesübungen und albern angelegte rhythmische Gruppen-Ertüchtigungen karikieren die geforderte Dynamik und zeichnen vor allem ein Bild des Druckes, den die Gesellschaft zum Zwecke des Wirtschaftswachstums auf ihre Kinder legt.

Was soll's denn werden, Künstler oder doch lieber Sozialversicherungs-Fachangestellter? Typen treten auf und werden gebrochen: Der Karrierist (Phil Buro) schwingt sich planend nach oben, bis er Höhenangst bekommt und kollabiert. Der perfekte Bewerber (Erik Alsleben) war auch nicht immer perfekt, und was, wenn der Bäcker in spe unter einer Mehlstaub-Allergie leiden sollte? Der Zweifler (Max Giese), der Coole (Jean Baptist Jütten) - gibt es denn immer ein Aber? Und der Faule (Rouven-Niclas Ruttich) ist mal wieder, berechnet auch, vor allem sympathisch. Ein Zufall?

Wer fressen will, muss schlachten. Taff ist sie und unnachgiebig, aber auch Frau Schlächter, die Trainerin (Rita Sanftenberg), die vormals im Schlachthof arbeitete, hat nicht nur eine Metzger-Seele. So erscheinen die Typen immer wieder menschlich. Manchmal frei, zuweilen didaktisch wohl präpariert mit und auf Allgemeinplätzen spielend, werden in einer ausgeglichenen Ensembleleistung Ansprüche zurückgegeben, bis sich die lastenden Zeigefinger entspannen. Die geforderte Dynamik wird als Parole enttarnt, ein Desinteresse der Wohlstandserben blitzt auf, und die "Angst, ein Mensch zu werden, der ich nicht bin".

Das ist ein Stück von Jugendlichen für Jugendliche, ein ausdrückliches Angebot an Schulklassen, ein Stück, das Fragen stellt und wie nebenbei das Gefühl vermittelt, dass der Weg zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit ein Ziel finden kann, ohne den pauschalen Druck, aber mit viel Interesse auf allen Seiten, und füreinander. Die finale Frage ist nicht neu. So oder doch umgekehrt: "Lebenszeit ist Arbeitszeit"? Und bis dahin: Kniebeugen oder doch lieber den Rumpf erheben?

Nächste Vorstellungen: 23. April und 3. Mai um 17 Uhr