Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Neues Kapitel an historischem Platz
DESSAU/MZ. - In der schmucken, strahlend neuen Kochstedter "Waldsiedlung", da gab es noch ein letztes störrisch-altes Gebäude-Ensemble: Zwei parallel stehende Zweigeschosser rechtwinklig über einen Verbinder in U-Form zusammengefügt. Der Volksmund sprach vom "letzten Russenblock im Hauerwinkel". Die Militärgeschichte Kochstedts aber widerspiegelt epochalen Zeitenwandel. Reicht zurück zu Wehrmachtszeiten in den 30er Jahren. Aus der Flak-Kaserne wurde nach dem Weltkrieg erst Stützpunkt der sowjetischen Roten Armee, dann Forstschule und Sitz der kasernierten Volkspolizei und von 1953 bis 1992 Standort eines sowjetischen Panzerregimentes.
Dieses Kapitel Zeit-, Stadt- und Baugeschichte ist geschlossen. Auf dem einstigen Kasernengelände steht heute die "Waldsiedlung", unter anteiliger Nutzung alter Gebäudesubstanz. Die einstigen Häuser der Offiziersfamilien im Hauerwinkel wandeln ihr Antlitz unter zwei neuen Eigentümern und Bauherren. Die in Sandersdorf-Brehna ansässige Hubert & Co. Immobilienservice GmbH & Co. KG errichtet in einem Gebäudeflügel die "Waldresidenz Dessau-Kochstedt" mit 33 altengerechten und betreuten Wohnungen. Die Wohnungen bestehen aus je zwei Zimmern sowie einer Küche und einem Bad. Ein Balkon oder eine Terrasse vervollständigen die Ausstattung des Wohnraums für die zweite Lebenshälfte in größtmöglicher Unabhängigkeit, so Susanne Seyffert von der Hubert-Gruppe in Sandersdorf. Weiter dienen ein Gemeinschaftsraum und weitläufige Außenanlagen dem geselligen Beisammensein und gemeinsamen Veranstaltungen. Als Ansprechpartner für Anfragen und regelmäßigen Informationsaustausch stehe den Bewohnern eine "Präsenzperson" zur Verfügung, die auf Wunsch auch individuelle Hilfen und verschiedene Dienstleistungen (Hausnotrufsystem, Blumen- und Wohnungsversorgung bei Abwesenheit) vermittelt. Bezugsfertig sollen diese Wohnungen in der "Waldresidenz" im Oktober 2011 sein.
Der zweite Gebäudeflügel ist Eigentum und Baustelle der Lebenshilfe Dessau für die neue Wohnanlage mit "Intensiv betreuten Wohngruppen" (IBW) für Menschen mit Behinderungen. Es entstehen vier Wohngruppen für jeweils sechs Bewohner, die in barrierefreien Einzelzimmern mit eigenem Duschbad weitestgehend selbständig leben können.
Das intensiv betreute Wohnen der Lebenshilfe ist vorgehalten für Menschen mit Behinderungen. Wie Lebenshilfe-Geschäftsführer Lutz Kröninger sagt, habe das Land Sachsen-Anhalt im Frühjahr 2011 den Bedarf für eine solche Einrichtung verbindlich bestätigt. Diese formale Zustimmung war für den Bauherren "Lebenshilfe" der Schlüssel für das Vorhaben. Denn als Teil der Sozialhilfe unterliegt die Behindertenhilfe letztlich der Ägide des Landes. Die "Lebenshilfe" geht in Vorleistung. Kröninger schätzt das Investitionsvolumen auf etwa eine Millionen Euro. Der Kostensatz für das betreute Wohnen wird dann personenbezogen errechnet... und finanziert über die Sozialhilfe.
Somit läuft bereits die Wohnungsvergabe über ein festgelegtes Antragsverfahren. Einschließlich amtsärztlicher Gutachten und Überprüfungen. Aber der Bedarf ist unstrittig: Für die insgesamt 24 Wohnungen sind, so hat Lutz Kröninger erfahren, bereits 20 Antragsverfahren im Sozialamt auf den Weg gebracht worden. Die Bewerber stammen zum großen Teil (etwa drei Viertel) direkt aus Dessau, der Rest aus Roßlau und den Nachbarkreisen. Der Altersdurchschnitt liegt bei 35 bis 40 Jahren, also denjenigen, die bislang betreut wurden von den Eltern, welche nun selbst alt geworden sind. An deren Stelle rücken Heilpädagogen und Heilerziehungspfleger in Diensten der "Lebenshilfe".
Auf den Etagen läuft derzeit der Innenausbau auf Hochtouren. Der Bauherr will das Haus zum 1. Januar 2012 fertig stellen. Die Außenanlagen sollen im Frühjahr folgen.