Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Im Schatten der Meute
WÖRLITZ/MZ. - Ina Grünberg ist zuversichtlich. "Am Wochenende scheint die Sonne, da gibt es bestes Herbstwetter", prophezeit die Schriftführerin des Anhaltischen Reit- und Fahrvereins Wörlitzer Winkel. Ihr steht die Vorfreude auf die nunmehr schon neunte Fürst-Franz-Gedächtnisschleppjagd ins Gesicht geschrieben. Das ist nur zu verständlich, stellt doch genau diese Jagd jedes Jahr den Höhepunkt auch ihrer ehrenamtlichen Arbeit dar. Einen solchen braucht es zudem, wenn der Reit- und Fahrsport im Gartenreich weiter vorangebracht werden soll.
Das zumindest ist erklärtes Ziel des Vereins, der sich dabei auf die Traditionen des anhaltischen Fürstenhauses beruft. Mit Edda Darboven steht dann auch eine geborene Prinzessin von Anhalt als Präsidentin an der Vereinsspitze. Sie wird als Schirmherrin dabei sein, wenn am Samstag 60 Reiter, mindestens 15 Kutschen und sieben Kremser voll besetzt in der Elbaue unterwegs sind, um der Hundemeute zu folgen, die wiederum gelegten Fährten nachspürt. Denn eine wirkliche Parforcejagd auf lebendes Wild wird es nicht geben. Die ist in Deutschland seit Jahrzehnten verboten.
Das sah vor ungefähr 200 Jahren in Anhalt ganz anders aus: "Die Parforcejagd besteht darin, daß man einem Hirsche mit einer beträchtlichen Anzahl Jagdhunde, welche weniger schnell als er sind, solange auf der Fährte folgt, bis er durch die Flucht ermüdet, nicht mehr von der Stelle weicht, sondern sich so lange gegen die Hunde verteidigt, bis diese ihn niederziehn, oder bis er von den Jägern ... auf angemessene Art erlegt wird." So notiert es Georg Franz Dietrich aus dem Winckell, von 1794 bis 1802 Kammerjunker bei Fürst Franz. Der Parforcejagd wird in Anhalt von 1709 bis 1812 vom jeweiligen Landesherren ausgiebig nachgegangen, "vom August bis zum November ... wöchentlich dreimal", schreibt Winckell. Zumeist stellt die Jagdgesellschaft Rothirschen nach, die zuvor von den Jägern an den Futterstellen ausgewählt und oft mit Namen gerufen werden. Die Jagdteilnehmer tragen Uniform, bestehend aus Stulpenstiefeln, gelben Lederhosen, Reitjacke mit hellblauem Kragen und Aufschlägen, scharlachrotem Überrock sowie einem dreieckigen Hut auf der Zopfperücke. Da die Dessauer Jagd weithin bekannt und beliebt ist, kommen die Gäste zahlreich und bringen Geld in die Stadt.
Zum Personal gehören der Direktor, der Oberjäger, zwei Pikeurs, drei Jäger, sechs Jagdpfeiffer, ein Hundearzt sowie vier Hundewärter. Sie erledigen die eigentliche Arbeit. Dem Landesherren oder einem ausgewählten Gast obliegt es zuletzt, dem Tier den Fang zu geben. "Dies geschieht, indem die Spitze des Hirschfängers durch die linke Brusthöhle bis ins Herz gestoßen wird", schreibt Winckell.
Am morgigen Sonnabend indes verläuft alles viel friedlicher. Lorenz Thomsen wird die Fährte legen, stellvertretend für das einst zu verfolgende Wild. Zu diesem Zweck befindet sich an seinem Sattel ein Tropfkanister mit einer Pansen-Lake. Thomsen, dem der Vorsitzende des Wörlitzer Vereins, Holger Johannes, bei dieser Arbeit zur Seite steht, ist Vorstand des Schleppjagdvereins Freiherr von Esebeck aus Mecklenburg-Vorpommern.
Der Verein reist nun schon zum wiederholten Male mit der Mecklenburger Meute an. Etwa 40 Irish Foxhounds werden im Gartenreich dem vermeintlichen Wild nachjagen. Immer unter Kontrolle von Gabriel Rodenberg, der "wegen der herrlichen Landschaft, dem Ambiente und den netten Menschen vom Verein und aus der Kulturstiftung" besonders gern nach Wörlitz kommt. Er wird das Jagdfeld anführen, so wie er es etwa 30 Mal im Jahr als Master macht. Und von denen gibt es in Deutschland nur 22. Zu den Aufgaben Rodenbergs gehört die Ausbildung der Reiter, Pferde und Hunde. Außerdem liegen Zucht, Aufzucht und die tägliche Betreuung der Foxhounds - auch bei den Jagden - in seiner Verantwortung.
Eine Master-Ausbildung indes gebe es nicht, "das muss man wollen und Schritt für Schritt lernen", sagt er. So hat auch Rodenberg als Pikeur, so werden wiederum die Helfer des Masters bezeichnet, begonnen. Solche Helfer stehen auch am Samstag an seiner Seite, wenn es auf die insgesamt etwa 30 Kilometer lange Strecke geht, vorn die Hunde, dahinter der Master gefolgt von den Pikeuren, dann das zweigeteilte Feld der Reiter. Die eine Gruppe wird Hindernisse überspringen, die andere nicht. Für die richtigen Signale sorgen in bewährter Manier die Usedomer Jagdhornbläser entlang der gesamten Strecke. Alles zusammen ist das ein Schauspiel, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Schließlich kann man bei Sonnenschein weit über die Elbaue blicken und den Ablauf der Schleppjagd zu Ehren des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau gut verfolgen.