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Bauhaus-Siedlung Dessau Bauhaus-Siedlung Dessau: Kulturkampf im Reihenhaus

Von Günter kowa 24.06.2012, 16:51

Halle (Saale)/MZ. - Bauhaus-Siedlung Törten: Das soll künftig auf den Wegweisern in Dessau stehen. So schlägt es die Stiftung Bauhaus zwecks tourismusfördernden Anklangs an den Mythos vor. Aber man könnte es Besuchern nicht verdenken, wenn sie der Spaziergang durch diesen Außenposten des Weltkulturerbes eher an die bekannte Baumarktkette erinnert. Oder an Hersteller pseudobarocker Türen oder von Plastikfassaden in Ziegelsteinoptik.

Jedenfalls ist der Blick in die vom Bauhaus neu eingerichtete Dauerausstellung im ehemaligen Konsum-Gebäude hilfreich. Da kann man das Original der von 1926 bis 1928 errichteten Siedlung von der Heimwerkerei ablösen, mit der sie ihre Bewohner vom ersten Tag an traktierten. Gut so, sagen angereiste Verächter der Moderne in bissigen Kommentaren im Besucherbuch. Architekten seien "lebensfeindlich", und in Törten verantwortlich für kahle Gleichförmigkeit, erkennbar auf den Fotos aus der Entstehungszeit der Siedlung.

Sie ist das beredte Erbe eines Kulturkampfes. Thüringen bereitete den Boden in der Landtagswahl von 1924 mit dem Sieg rechter Parteien. Die neue Regierung strich umgehend dem Weimarer Bauhaus den Etat zusammen. Gründungsdirektor Walter Gropius blieb keine Wahl, als die Kunstschule zu schließen. In Dessau erkannte der weltoffene Oberbürgermeister Fritz Hesse seine Chance und lud den Bannerträger der Moderne in die aufstrebende Industriestadt ein. Mit Erfolg - doch der Kulturkampf ging auch dort weiter.

Hesse aber erhoffte sich vom Bauhaus durchaus kommunalpolitische Entlastung. "Auch der Wohnungsbau", schrieb er in seinen Erinnerungen, "könnte neue Impulse erhalten." Mit gutem Grund: Dessau zählte 10 000 Wohnungssuchende. Erste Lösungen bot die Gartenstadtbewegung, ortsnah in Piesteritz und "Hohe Lache". Bürgerlich-Konservative und Sozialdemokraten entdeckten Gemeinsamkeiten. Der Dessauer Arbeiterführer und Schwarmgeist Heinrich Peus begrüßte Gropius nicht minder enthusiastisch als Hesse.

Denn der machte Hoffnungen, den Siedlungsbau schneller und effizienter voranzutreiben. Zügig kaufte der Rat Bauland im südlichen Stadtteil Törten und vergab den Auftrag an Gropius' Baubüro.

Von Anfang an waren die Werkstätten und Studenten des Bauhauses beteiligt. Der erste Bauabschnitt konnte schon zur Eröffnung des Bauhausgebäudes im Dezember 1926 den Besuchern aus aller Welt vorgeführt werden.

Tatsächlich ist die Siedlung Törten mit ihren 314 Einfamilien-Reihenhäusern das größte Bauprojekt im Zeichen des Bauhauses. Dennoch gibt es an der Stiftung Bauhaus ein Forschungsprogramm zu den Ursprüngen der Siedlung erst seit einigen Jahren. Daraus ist die Ausstellung im restaurierten Konsum-Gebäude entstanden. Ein Auslöser war auch der Erwerb von "Haus Anton". Die letzte Bewohnerin hinterließ es mit vielen Original-Beständen aus ihrer Kindheit, vom steinernen Sitzbad in der Küche bis zum "Metroclo" im Stall.

Jüngst hat der Dresdner Architekturhistoriker Andreas Schwarting eine Pionierstudie zur Bau- und Ideengeschichte der Siedlung vorgelegt, deren fast 500 Seiten zum Erhellendsten gehören, was über das Thema geschrieben worden ist. Denn mit Törten trifft am Bauhaus die Idee von der "Rationalisierung" des Bauwesens auf die Bedürfnisse der Arbeiter und Kleinbürger, muss sich die Maxime "form follows function" im Alltag bewähren.

Schon Hesse erzählt, die erklärte Absicht von Gropius sei es gewesen, "über der ratio das Schöpferische nicht zu vergessen." Mit Schwarting folgt man Gropius zu den Polen seines Nützlichkeits- und seines künstlerischen Denkens. Wohnung, Straße und Stadt, erklärt er 1930, "kann nur durch Vernunft in höherem Sinne zu einer Einheit gebunden werden." Vernunft, Sinn, Einheit: Gropius will kostensparendes Bauen mit "ästhetischem Spiel" verbinden. Er betreibt es in der Gliederung und den Materialkontrasten der Reihenhäuser und der städtebaulichen Komposition unter Einsatz von gartenreichs-ähnlichen Blickachsen, festgemacht an den heute nicht mehr vorhandenen Hochspannungsleitungen.

Im Zweifel gab Gropius der Ästhetik den Vorrang über Kosten und Nutzen. Fenster und Türen aus Stahl waren ebenso wie Glasprismen symbolhaft modern, aber teuer; die regelhafte Anlage der Straßen ergab teils ungünstig besonnte Räume und Gärten; hoch angesetzte Fensterbänder ließen Platz für Möbel, aber man konnte im Sitzen nicht nach draußen sehen. Gropius setzte auf "Normierung der Teile", aber die auf die Baustelle verlegten Produktionsabläufe verliefen nicht so reibungslos industriell, wie er hoffte. Nacheinander in vier Bautypen zwängte er den Kostenrahmen in immer engere Grenzen, lotete aber die ästhetischen Spielräume weiter aus. Der Kaufpreis blieb optisch stabil, aber die Wohnfläche sank rapide. Der letzte Bautyp bot mit 57 Quadratmetern 18 weniger als der erste, und dennoch "den Eindruck von Großzügigkeit", wie Schwarting urteilt, dank zwei Wohnebenen ohne Treppenhaus.

Wer wohlwollend war wie Margarete Hartig in der "Frauenwelt" von 1929, schrieb: "Die Bewohner sind voller Begeisterung, dass sie so viel Platz, so viel Licht, so viel praktische Bequemlichkeit haben." Gropius selbst glaubte, dass "die Normierung der individuellen Gestaltung keine Grenzen setzen" würde. Das haben die Bewohner dann sehr anders interpretiert, als er sich das vorstellen konnte.