Zwei für viele: Prölß und Curschmann
BITTERFELD/MZ. - Aus der Vielzahl von Wissenschaftlern, leitenden Angestellten, Chemikern und Technikern sollen die Folgenden für alle stehen, die in der 85-jährigen Geschichte des Werkes von 1909 bis 1994 in der Filmfabrik gearbeitet und einen Teil ihres Lebens verbracht haben.
Technischer Aufbauleiter und anschließend erster Direktor der Filmfabrik Wolfen war der Ingenieur Adelbert Prölß. Er wurde 1870 in Sandow bei Cottbus geboren. In Berlin studierte er Maschinenbau, ohne Abschluss(!). 1896 trat er in die Technische Abteilung der Berliner Agfa-Werke ein. 1909 bekam er den Auftrag, in Wolfen eine neue, in den geplanten Ausmaßen noch nie da gewesene Filmfabrik weit außerhalb des Dorfes Wolfen zu errichten.
Es war eine Herausforderung ohnegleichen. Prölß und Mitarbeiter bestanden sie: Binnen eines knappen Jahres stand das Werk, mit der Produktion konnte begonnen werden. Auch die erheblichen technischen Probleme, die dann kamen, meisterten die Ingenieure und Techniker unter Prölß. Da die Kapazitätsgrenze der Filmfabrik schon nach zwei Jahren erreicht war, die ständig weiter wachsende Kinoindustrie aber neues, besseres und vor allem immer mehr Aufnahmematerial verlangte, wurde unter Prölß eine komplette zweite Filmfabrik geplant und neben der ersten errichtet. Als auch diese nicht mehr ausreichte, begann er mit der Planung und dem Aufbau der dritten Fabrik.
Neben dem Bau der Filmbetriebe war sein universelles ingenieurtechnisches Wissen auch für die Planung und den Bau der vielen notwendigen Hilfsbetriebe wie Kraftwerk, Wasser- und Kälteanlage, Bade- und Speiseräume, Wege und Schienenstränge, gefordert.
Eine neue Herausforderung war Anfang der 20er Jahre der Bau des großen Kunstfaserbetriebes Gebäude 600. Auch diese Aufgabe meisterte er erfolgreich. Prölß war ein Techniker voller Ideen, Tatendrang und fundiertem Wissen. Nach 17 Dienstjahren in Wolfen, er war damit der am längsten amtierende Werkleiter in der Geschichte der Filmfabrik, trat er 1926 in den Ruhestand und zog nach Potsdam. Die TH Darmstadt ehrte und würdigte seine Arbeit mit der Verleihung des Titels "Doktor-Ingenieur ehrenhalber".
Um erfolgreich so große Betriebe wie die in Wolfen ansässigen Far
ben- und Filmfabrik führen zu können, mussten auch eine entsprechende Infrastruktur und annehmbare Lebens- und Arbeitsverhältnisse geschaffen werden. Auf diesem Gebiet hat sich Prof. Dr. Fritz Curschmann bleibende Verdienste erworben. Er wurde 1876 in Darmstadt geboren. Nach Medizinstudium und Arbeit als Arzt in Annaberg-Buchholz kam er 1908 als Fabrikarzt in die Farbenfabrik Wolfen. Eine seiner Hauptaufgaben war es, die vielen Berufserkrankungen in der noch jungen, sich erst entwickelnden
Chemieindustrie, speziell in Wolfen, zu erkunden und die Ursachen zu bekämpfen. Die Erforschung der einzelnen Krankheitsursachen wurde parallel durch eine Reihe von sozialen und krankheitsvorbeugenden Maßnahmen begleitet. So wurden die Arbeiter nun regelmäßig überwacht, es gab Betriebsbegehungen. Geeignete Arbeitskleidung wurde ausgegeben und vor allem wurden Wasch- und Badeeinrichtungen geschaffen.
In besonders gesundheitsschädigenden Betriebsteilen wurde kostenlos Milch verabreicht und ein konsequentes Alkoholverbot durchgesetzt. All das führte zu einer Verbesserung der gesundheitlichen Lage der Wolfener Chemiearbeiter. Doch sie können nicht darüber hinweg täuschen, dass die gesundheitliche Belastung in der Farben- und der Filmfabrik weiterhin sehr hoch blieb.
Einfach ist die Einschätzung der ärztlichen Leistungen von Curschmann aber nicht. Zweifellos hat er versucht - und das erfolgreich -, die gesundheitlichen Probleme, die im Produktionsablauf entstanden, zu erforschen und ihnen entgegen zu wirken. Das entsprach seinem Ethos als Arzt und seiner Funktion als Fabrikarzt. Es ist aber bisher nicht bekannt, ob er im Vorfeld einer Produktionsaufnahme auf eventuelle gesundheitsschädigende Wirkungen hingewiesen oder gar eine Einstellung verlangt hat. Zwiespältig und mit seinem Berufsethos als Arzt nicht vereinbar: Curschmann duldete die Produktion von täglich 15 000 Flaschen Giftgas in der Farbenfabrik während des Ersten Weltkrieges. Das bedeutete -zig tausendfachen Tod!
Mit der Einstellung weiterer Fabrikärzte verschob sich das Arbeitsgebiet von Curschmann und wurde im Laufe der Jahre immer größer. Er stieg auf zum Sozialdirektor beider Wolfener Agfa-Werke. Sein Wirken ist heute in Wolfen an vielen Stellen noch sichtbar. Die von ihm veranlassten Bauten prägen zum Teil das Ortsbild - so die denkmalgeschützte Wohnkolonie zwischen der Leipziger- und der Thälmannstraße, das nicht mehr vorhandene Freibad und die Sportanlage am Wolfener Busch.
Er begründete neben den Verbandsstuben in den zwei Werken auch das Wolfener Krankenhaus und erweiterte es ständig. Mit dem Bau des Kulturhauses 1927 schuf er ein repräsentatives Gebäude für das Dorf und brachte Kultur nach Wolfen. Namhafte Ensembles, Orchester und Künstler kamen. Als Sozialdirektor beider Wolfener Werke war er entscheidend an den Weimarer Verhandlungen zur Betriebsratsgesetzgebung beteiligt und ermöglichte auch die Wahl von Betriebsräten in Film- und Farbenfabrik. Zugleich war er in vielen weiteren Gremien.
Der Sozialsekretär der Farbenfabrik, Markert, charakterisierte das Wirken Curschmanns in seinem Roman "AG Chemie": "Er brachte Leben und Glanz nach dem schmutzigen Lentin (Wolfen). Nachdem er einmal Zugang zur offenen Hand von Pfalzberger (gemeint ist der Generaldirektor der Agfa-Oppenheim) hatte, entstanden bald schöne Wohnhäuser, Krankenhäuser, Vortragssäle, Spielplätze. Lentin wurde bekannt in Deutschland... Auch das gesellige Leben erhielt Auftrieb durch Katz (Curschmann). Was wollte man mehr in dieser Kohlenstaubeinöde? Ohne Katz war Lentin nicht mehr denkbar." Wie wahr!
Wird fortgesetzt.