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Unternehmer Unternehmer: Wolfgang Vetter wird von der DDR zwei Mal enteignet

26.06.2012, 18:09

Salzfurtkapelle/MZ. - Wolfgang Vetter ist so etwas wie ein Dino im ostdeutschen Wirtschaftsleben. Viele gibt es nicht mehr von seiner Sorte. Immer hat der heute über 80-jährige Unternehmer an die eigene Inspiration und Stärke geglaubt. Er gehört zu denen, die nach dem Krieg die Chancen beim Schlafittchen packen. Er gründet ein Fuhrgeschäft in Salzfurtkapelle und teilt das Schicksal mit vielen ostdeutschen Unternehmern: Er wird enteignet. Zwei Mal erlebt er das. Was dem Volke dient, gehört in Volkes Hand - das ist die Staatsidee der DDR. Ab Kriegsende bis zur Gründung des Landes 1949 ist bereits die Hälfte aller Produktionsmittel in Volkes Hand. Vetters Firma nicht. Deren Geschichte beginnt gerade erst. Und zwar mit einem Lkw - ein Geschenk der Amerikaner, das sie ihm in Raguhn zurücklassen, als sie abziehen. Wolfgang Vetter lacht, wenn er die Geschichte erzählt. Und ein bisschen blitzt der Schalk früherer Jahre.

"Das war ein geschlossener Kasten - rechts ein Fenster, hinten eins. Ach, das spielte doch keine Rolle", sagt er und winkt ab, "da kamen zwei Holzbänke rein und fertig war der Lack. Damit habe ich die Leute von Düben und sonst woher in die Farbenfabrik gefahren. Die mussten irgendwie zur Arbeit kommen. Es musste ja weitergehen nach dem Krieg."

Drei Fahrzeuge auf eigenem Grund

Und weiter geht es auch auf dem Hof in Salzfurtkapelle. Das heißt: Autos werden selber aufgebaut. Freunde helfen, vor allem die Firma Merseburger aus Bobbau. 1950 stehen auf dem eigenen Grundstück drei Fahrzeuge. Acht Jahre später sind es schon sechs Busse und zwei Anhänger sowie eine kleine Werkstatt. Acht Leute sind inzwischen beschäftigt. "Das war schon fast familiär", blickt er zurück. "Das hat es nie wieder gegeben. Man hat damals mit dem Unternehmen gelebt. Heute geht man arbeiten."

Der Betrieb ist gesund, die Sparkasse gibt dem jungen Unternehmer Kredit. Der Stolz klingt noch durch, wenn er sagt: "Ich war der einzige Private, der Busanhänger hatte." Fünf kleinere private Personen-Fuhrunternehmen behaupten sich neben dem großen volkseigenen Kraftverkehr im Kreis Bitterfeld. Das Geschäft floriert. Offenbar so, dass es plötzlich nicht mehr ins Bild vom Sozialismus passt.

Bis zu Ulbrichts Sekretär

1952 verabschiedet der Arbeiter- und Bauernstaat das "Gesetz zum Schutz des Volkseigentums und anderen gesellschaftlichen Eigentums". Wer dagegen verstößt, hat nichts zu lachen. Seltsamerweise steigen nachweislich von Oktober 1952 bis März 1953 die Straftaten von 218 auf 2 390, die Anzahl der "Täter" von 283 auf 3 570. Gegen Vetter erhebt man Anklage, zu viele Kilometer abgerechnet zu haben.

Das macht zwei Jahre Haft - Einzelzelle, Arbeit unter Tage. Für die, die zu Hause sind, ist es unerträglich. "Mit unserem Hund habe ich immer am Tor auf ihn gewartet. Ich bin auch angepöbelt worden von anderen Kindern und ausgegrenzt", erinnert sich Wolfdietrich Vetter, der Sohn. Der Mutter, obwohl sie von den Frauen im Dorf nicht allein gelassen wird, reicht es jetzt. Sie fährt nach Berlin - und kommt tatsächlich bis zu Ulbrichts Sekretär. "Der Mut", sagt Vetter und schüttelt den Kopf. Schließlich kommt er raus aus der Haft. "Hätte sie das nicht angeschoben, ich weiß nicht..."

In Salzfurtkapelle liegt die Firma am Boden. Er darf sie wieder aufbauen - offenbar, weil die volkseigenen Kapazitäten nicht reichen. Wolfgang Vetter holt Bilder hervor: Wracks, die mal Busse waren, Scheiben in Scherben, im hohen Gras Räder und Reifen. So sieht das aus, was vom Kraftverkehr benutzt und ausrangiert worden ist. "Daraus haben wir wieder Busse gemacht", blickt er zurück. Bezahlen müssen habe das der Kraftverkehr. Der volkseigene Sektor, wie er den VEB nennt, "der war nicht begeistert, dass der Vetter seine Klamotten bezahlen musste."

Ganz in Ruhe lässt der Staat die Privaten dennoch nicht. Zwischen 1960 und 1970, sagt Vetter, habe sich unter Ulbricht für sie ein Fenster geöffnet. "Man hat versucht, uns zu integrieren. Ulbricht hat gesagt, auch unsere Kinder werden in unseren Betrieben noch arbeiten können." Doch kommt alles anders. 1965 wird der Betrieb halb verstaatlicht.

Dahinter steht die Absicht, politisch Einfluss zu nehmen. Andererseits fördert die finanzielle Unterstützung auch ein Wachstum der Firma. Es entsteht die Vetter KG Omnibus- und Mietwagenbetrieb mit ihm als Chef. "Wir hätten damit leben können", sagt Wolfgang Vetter, "das wäre gegangen". Die Firma läuft super, Vetter sieht eine Perspektive auch für den Sohn im Geschäft. Denn dem ist manche Tür verschlossen - die zum Abitur zum Beispiel.

Man schreibt das Jahr 1972 und zieht die Schrauben fester: Die DDR beschließt, den Privatunternehmern das Betriebsvermögen vollständig zu entziehen, es in volkseigene Betriebe (VEB) umzuwandeln. "VEB", sagt Vetter sarkastisch, "Vaters ehemaliger Betrieb." Es ist ein Karfreitag, an dem ihm das eröffnet wird. "Da kamen zwei vom Rat des Kreises. ,Wir werden jetzt dein Unternehmen kaufen', hieß es", erinnert er sich. Auch dem Sohn bleibt ein Bild im Kopf: "Mein Vater war ein ziemlich unglücklicher Mensch in dieser Zeit. Plötzlich war alles weg, was er aufgebaut hat." 30 Unternehmern geht es 1972 im Bezirk Halle so.

Er darf im VEB Omnibusbetrieb, wie seine Firma nun heißt, fortan als Leiter seines einst eigenen Unternehmens arbeiten. "Ich habe in den ersten Jahren sehr gehadert und immer wieder überlegt, einen Laden in Rathenow zu übernehmen. Ich konnte es nicht", sagt er. "Hier hing mein Herz dran."

Vetter bringt trotz allem auch im VEB Schwung in den Laden. Mit Leuten, von denen er heute sagt, sie waren gute Leute, die versucht haben, gemeinsam was voran zubringen. Welche mit Zivilcourage.

Und er bringt ein Kunststück fertig, das keinem sonst gelingt: der Omnibusbetrieb in Salzfurtkapelle wird nicht Betriebsteil des VEB, er bleibt rechtlich selbstständig. Vetter lacht und wieder blitzt der Schalk in seinen Augen. "Ich weiß bis heute nicht, wie das ging." Er weiß nur, dass er da ganz verlässliche Leute hinter sich hat im Betrieb. Und er weiß auch im Herzen, dass "der Laden" nicht zerschlagen werden darf. "Das war doch noch mein Leben."

Das große Glück

Die juristische Selbstständigkeit der Firma soll sich später noch als das ganz große Glück herausstellen: Sie ist die Voraussetzung dafür, dass das Unternehmen 1990 problemlos in die Hände der Familie zurückgeführt werden kann. "Der große Fehler der DDR war die Zerstörung des Mittelstandes 1972. Damit gab es keinen Wettbewerb mehr."

Der Staat war ideologisch verbohrt und das war für ihn tödlich", resümiert der Mann, der hellwach auf sein Lebenswerk blickt.