Flucht vor der Jahrhundertflut Flucht vor der Jahrhundertflut: Immer mehr verlassen ihr Zuhause
Kemberg/Wittenberg/MZ. - Bedrückende Szenen spielten sich in der Berufsschule von Kemberg ab. Dorthin werden seit Freitag Bewohner aus Orten wie Dabrun, Melzwig und Lamsdorf evakuiert, nachdem sich die Lage an den Elbdämmen immer weiter zugespitzt hat. Etliche hatten kaum Zeit, sich mit dem Nötigsten einzudecken, bevor sie mit Bussen weggebracht wurden. "Die Leute waren sehr aufgeregt und haben Angst", betont Ramona Malez von der Freiwilligen Feuerwehr Kemberg, die zur Betreuung der Evakuierten abgeordnet wurde, obschon ihr eigenes Haus in der Kemberger Gefahrenzone liegt.
Insgesamt waren Sonntagmittag bereits 109 Personen in der Berufsschule aufgenommen worden. Zu denen, die bereits am Freitag Abend ihr Haus verlassen mussten, zählt Cordula Zimmermann aus Dabrun. Ihr Blick ist panisch und verweilt dann starr auf einem Päckchen. "Das muss dringend zur Post", murmelt sie. Und immer wieder fragt sie: "Was soll ich denn nun damit machen?" Eigentlich habe sie es noch nach Wittenberg bringen wollen. Doch konnte ihr niemand sagen, ob sie überhaupt noch nach Dabrun zurück kommt. Nun also hat sie es mit in die Notunterkunft genommen.
Ein paar Meter weiter von Frau Zimmermann hat Familie Gäde aus Lamsdorf Quartier bezogen. Erst vor einer Woche sei sie mit ihrem Lebensgefährten und sieben Kindern aus der Nähe von Zerbst nach Lamsdorf gezogen, erzählt Martina Gäde. "Wir haben dort die alte Gaststätte gekauft und wollten uns eine Existenz aufbauen." Nun ist wieder alles in Frage gestellt. Während Frau Gäde sinniert, was werden soll, bringt Ramona Malez Sommerbekleidung fürs kleinste der Gäde-Kinder. Draußen sind 28 Grad, das Baby aber ist dick angezogen. "Ich hatte befürchtet, dass wir auf Feldbetten in eine Turnhalle kommen", erklärt Martina Gäde und freut sich über die Hilfsbereitschaft der Nachbarn. Die ist in diesen Tagen nicht nur in Kemberg groß. Wie andernorts so kommen auch in Wittenberg viele Menschen zur zentralen Sammelstelle in die Polzeiturnhalle. Sie geben Sachspenden und Lebensmittel ab.
Dort wird auch die Unterbringung derer organisiert, die nach dem Dammbruch am Sportplatz von Pratau ihre Häuser verlassen mussten. Anders als bei den Evakuierten in den umliegenden Gemeinden kommen diese Leute in Hotels, Pensionen und zu Privatleuten. "Wir sind der Ansicht, dass gerade Alte, Kranke und Behinderte nicht auf Feldbetten in Turnhallen gehören", betont der Sozialreferent der Stadt Wittenberg, Engelbert Pennekamp. Als Schwerpunkt nennt er das Acron-Hotel in der Nähe des Hauptbahnhofs. "Weil dort die ärztliche Betreuung und der Einsatz von Pflegediensten gewährleistet ist." Insgesamt sind seit Sonntag 258 Menschen aus Pratau und 134 Bewohner von Seegrehna in der Polizeiturnhalle registriert. "Wer seine Angehörigen sucht, bekommt hier Auskunft", so Pennekamp.
Mit der Versorgungslage der Evakuierten sei er sich zufrieden. Verschiedene Supermärkte, Firmen und private Spender kümmerten sich. Besonders gerührt zeigt Pennekamp sich von einzelnen Initiativen. Etwa sei ein Gestüt-Inhaber mit einem Transporter aus Hannover gekommen und habe eine Frau mit ihren Pferden hier abgeholt. Auch aus Kiel kamen Leute, um eine geschädigte Familie abzuholen und bei sich aufzunehmen.
Unterdessen sei in der Nacht zum Sonntag auch die gesamte Innenstadt von Kemberg evakuiert und ein Damm gebaut worden. "Alles, was krauchen konnte, hat geholfen", sagt Ramona Malez auf Anfrage der MZ. Sie selbst halte sich noch immer im Feuerwehrdepot auf, da bislang keine Entwarnung gegeben werden konnte.
Wer seine Angehörigen sucht, kann sich an Engelbert Pennekamp in der Polizeiturnhalle Wittenberg wenden, Tel. 0 34 91/40 30 31.