Es war "sein Laden" Es war "sein Laden": Ein Nachruf auf Busunternehmer Wolfgang Vetter aus Salzfurtkapelle

Salzfurtkapelle - Aus dem Versammlungsraum unterm Dach des Bürogebäudes hatte er den besten Blick. Sah den Verkehrshof und die Busse, die Werkstatt und sein Wohnhaus gleich gegenüber. Sah sein Leben.
Doch hier oben war er seltener anzutreffen, auf dem Firmengelände indes regelmäßig - auch noch viele Jahre, nachdem er die Geschicke des Unternehmens längst in die Hände der Kinder und Enkelkinder gelegt hatte.
Es war und blieb „sein Laden“, den er 1946 unter schweren Bedingungen aus der Taufe gehoben hatte. Der Familienbetrieb lag ihm am Herzen - bis zum Schluss. Wolfgang Vetter, der Gründer des gleichnamigen Busunternehmens in Salzfurtkapelle, ist am 5. März 2020 im Alter von 93 Jahren gestorben.
Vetter ist gerade mal 19, als er aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrt
Er ist gerade mal 19, als er aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrt. Es herrscht Not. „Entweder hast du was gemacht oder du wärst verhungert“, begründet er später sein Wagnis in die Selbstständigkeit. Seine Eltern betreiben ein Geschäft in Raguhn, ein Lkw von dort ist sein Startkapital. In den alten Laster werden Holzbänke eingebaut und damit Arbeiter von Düben zur Farbenfabrik gefahren. Ein Hänger kommt hinzu, ein Sanitätsfahrzeug wird zum ersten Bus umgebaut - „mit unserer eigenen Hände Arbeit“.
Mit seiner Frau Gisela zieht Wolfgang Vetter nach Salzfurtkapelle und findet dort auch das passende Firmenobjekt - wo es sich noch heute befindet. Das Geschäft kommt ins Laufen und Sohn Wolfdietrich vervollkommnet das Familienglück.
Doch dann kommt ein tiefer Einschnitt. Das private Unternehmertum wird eingeschränkt, auch Wolfgang Vetter enteignet. Es werden sogar Gründe gefunden, ihn zu inhaftieren. Doch seine Frau gibt nicht auf und erreicht schließlich, dass ihr Mann aus dem Gefängnis kommt, rehabilitiert wird und den Betrieb zurückerhält. Der sieht mittlerweile schlimm aus: Die Fahrzeuge sind zum größten Teil geplündert und eigentlich schrottreif.
Mitte der 1960er Jahre greift der Staat ein, macht den Betrieb zur Kommanditgesellschaft
Doch sie werden wieder aufgebaut, neue angeschafft - Wolfgang Vetter beginnt mit seinem Team von vorn. Erfolgreich: Schüler- und Berufsverkehr sind Schwerpunkte, auch Ausflüge werden mittlerweile gefahren. Eine große Herausforderung ist der Aufbau des Stadtverkehrs in Wolfen - auch das meistert der Mann.
Doch es soll einen weiteren Einschnitt geben: Mitte der 1960er Jahre greift der Staat erneut ein, macht den Betrieb zur Kommanditgesellschaft und wird zu 49 Prozent Mitgesellschafter. 1972 schließlich folgt die Enteignung, die Firma wird volkseigen - wie 11.000 andere auch. Doch dem Firmenchef gelingt mit Hilfe seines Teams Einmaliges: Obwohl volkseigen, bleibt der Omnibus- und Mietwagenbetrieb einzig rechtlich selbstständiger ehemaliger Privatbetrieb in der DDR.
Immer sieht Wolfgang Vetter seine Firma eng verbunden mit der Region, lebt und leidet, hofft und arbeitet mit ihr und für sie. Das soll sich auch nach der Wende und der Reprivatisierung 1990 nicht ändern.
Ein persönlicher Schicksalsschlag ist für den Seniorchef der Tod seiner Frau vor vier Jahren
Sohn Wolfdietrich Vetter und dessen Frau Birgit steigen in die Vetter GmbH ein, das Touristik-Unternehmen wird gegründet. Wolfgang Vetter geht zwar in Rente, aber nicht in den Ruhestand, bleibt Seniorchef und gute Seele. Gestaltet die Entwicklung der Firma weiterhin mit. Und ist froh darüber, dass sich auch die Enkelkinder Kristin und Thomas beruflich für „seinen Laden“ entscheiden. Für sein Schaffen wird ihm zum 80. Geburtstag am 30. Oktober 2006 das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Ein persönlicher Schicksalsschlag ist für den Seniorchef der Tod seiner Frau vor vier Jahren. Doch er nimmt weiter am Geschehen teil, so gut es ihm gesundheitlich möglich ist. „Bis zuletzt hat er sich erkundigt, wie es läuft“, sagt Wolfdietrich Vetter. Er würdigt seine Eltern dafür, dass sie immer alles gegeben und nach vorn geschaut haben - trotz all der politischen Wirren, mit denen sie klarkommen mussten.
Die Trauerfeier für Wolfgang Vetter findet am Freitag in der Kirche in Salzfurtkapelle statt - wegen der Corona-Krise in kleinem Rahmen. „Er war eine Bezugsperson für mich“, sagt sein Sohn. „Er wird mir fehlen.“ (mz)