Ein kurzes Stück über das Töten
Wittenberg/MZ. - 45 Minuten sind eine kurze Zeit. Wenn man in einem gemütlichen kleinen Theater sitzt, ein Glas Wein in der Hand. 45 Minuten sind eine Ewigkeit. Wenn man, wie Victor (Sebastian Golsch), Dissident in einem nicht benannten Land, in die Verhörmaschinerie geraten ist. Hilflos ausgeliefert einem Spezialisten: Nicholas (brillant grausam: Daniel-Cornelius Mühlmann). Nicholas ist ein höflicher Mann. "Hallo, guten Morgen, wie geht es Ihnen?", begrüßt er sein Opfer. Nicholas ist Gott. Ein allmächtiger böser Gott, dessen einziges Trachten darin besteht, die Menschen, die da nacheinander vor ihm sitzen - Victor, dessen Frau Gila (erniedrigt, aber nicht besiegt: Leonie Zühlke), ja, sogar deren siebenjährigen Sohn Nicky (Lennard Zühlke) - zu vernichten. Nicht physisch, nein, dafür gibt es, das ist in jeder guten Diktatur so, Folterknechte. Psychisch. Die Gewalt, soweit sie im Verhörzimmer stattfindet, ist ausschließlich verbaler Art. Garant für eine Atmosphäre der Beklemmung, wie sie die krude Darstellung von Mord, Vergewaltigung, Elektroschocks auf offener Bühne kaum erreichen könnte. Am Ende zerreißt ein Schuss die Stille. Victor bäumt sich mit letzter Kraft auf: "Mein Sohn?!" - "Machen Sie sich keine weiteren Sorgen um ihn", beruhigt ihn sein Peiniger. "Er war eh ein kleines Arschloch." Vorhang.
Wie lange dauert es? Eine kleine Ewigkeit? Nur 30 Sekunden? Dem Publikum hat es den Beifall verschlagen. Erst als jemand von draußen die Tür öffnet und Licht fällt in die Dunkelheit, rühren sich zaghaft Hände zum Applaus. Mit der Qualität der Darstellung hat das nichts zu tun. Viel aber mit der Zahlenakrobatik, die als Prolog im Foyer auf zwei Bildschirmen hin- und-hergesprungen war. Waren es 20 Millionen Leben, wurde da diskutiert, oder doch 30? Gräuel lassen sich nicht in Zahlen fassen. "Noch einen Letzten" macht sie konkret.