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Demonstration mit Fahrrad Demonstration mit Fahrrad: Friedliche Eroberung der Straßen

Von Bärbel Helbig 06.08.2002, 17:10

Mößlitz/MZ. - Die schwer bepackten Räder haben Pause. Im Grünen gibt es Kaffee und frischen Kuchen aus der Backstube, der eine oder andere hält ein Mittagsschläfchen im Schatten alter Bäume. Was auf den ersten Blick wie eine Touristengruppe aussieht, entpuppt sich beim zweiten Hinsehen als Demonstration mit dem Fahrrad, die im Gut Mößlitz Station macht.

"Lebensfreude ohne Autobahn" heißt es auf einem T-Shirt, "Rad, Fuss und Bahn kommt einfach besser an" ist auf einem großen Plakat zu lesen, das auf einem Fahrradanhänger bald eine Strecke von insgesamt 1000 Kilometern durch Thüringen, Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg bis nach Berlin zurückgelegt haben wird. Die 50 Radler sind auf der "Tour de Natur", deren Weg sich am Dienstag in Mößlitz mit Teilnehmern der Jugend-Radtour "Bike+10" kreuzte, die nach Göttingen radeln.

Der Kölner Ingenieur Peter Kröger ist seit 1995 dabei. Dafür begeisterten ihn Leute, die er bei einem Ausflug an den Rennsteig getroffen hatte. Das Gefühl von Gemeinschaft, Spaß zu haben und damit eine politische Botschaft zu verbinden, dabei für eine andere Verkehrspolitik und ein besseres Leben einzutreten - das habe ihm gefallen. Stellvertretende Tourleiterin ist die 20-jährige Kyra Morawietz aus Erfurt. Sie hatte in ihrem freiwilligen ökologischen Jahr mit der Tour zu tun und ist dabei geblieben.

"Es gibt Menschen, die sogar schon tour-süchtig sind", sagt Wolf von Bültzingslöwen. Der 52-jährige Tischler aus Hessisch-Lichtenau hat wie meisten anderen Urlaub genommen, um an der "Tour de Natur" oder wenigstens auf ein paar Etappen dabei sein zu können. Ohne "Rundum-sorglos-Paket", wie er betont. Jeder hat irgend eine Aufgabe, in der Küche, beim Spülen, beim Kehren der Turnhallen, in denen meist übernachtet wird, oder bei Reparaturen. Und es gibt "Schieber", die ungeübten Radlern über die Berge helfen.

Die Verpflegung - natürlich vegetarisch und aus regionaler Produktion - kommt aus dem "Mampf-Mobil". Überhaupt geht es kreativ zu, unterwegs werden Lieder gedichtet und Theater gespielt. Darin kommt zum Beispiel der Pendolino vor, der Neigezug, für den sich die Umwelt-Radler einsetzen. Vor ein paar Tagen haben sie mit Leuten diskutiert, wie viele Arbeitsplätze der Autobahnbau bringt. Und in einem Dorf an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze erfuhren sie einiges über die Zwangsumsiedlungsaktion in der DDR.

Der Tross, der sich am 24. Juli in Zwickau in Bewegung setzte, wird als angemeldete Demonstration überall von der Polizei begleitet, die die Strecke absperrt. "Es ist schon ein schönes Gefühl, die Straße mal ganz ohne Lärm und Gestank für sich zu haben", sagt von Bültzingshausen. Gestern auf dem Weg nach Dessau war es wieder so.