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Bitterfeld Bitterfeld: Der mit dem Herzen sieht

Von Christine Krüger 25.05.2012, 16:31

Bitterfeld/MZ. - Ein Blick in die Bitterfelder Galerie am Ratswall in diesen Tagen ist ein Blick in die Vergangenheit. Plötzlich ist, was vergessen schien, wieder im Kopf: marode Gebäude, zerschlissene Rohrsysteme, gesplitterte Scheiben, rostendes Metall in dem Chemie-Koloss um Bitterfeld.

Der Hamburger Künstler Robert Schneider hat es festgehalten auf seinen Kohle-Skizzen und großformatigen Acryl-Bildern. "Das Geheimnis der Industrielandschaften" hat er die Ausstellung genannt. Schneider zeigt Malerei und Skizzen aus den Zyklen "Bitterfeld" und "Slask" (Polen). Er stellt Bitterfeld, 1990 das Synonym für Umweltverschmutzung, und Schlesien - zwei einst große, traditionelle Industriestandorte, in den Mittelpunkt. Beide gibt es heute so nicht mehr. "Aber das ist unsere Geschichte", sagt Manuela Dimter aus Sandersdorf, die mit Tochter vor den Bildern steht. "Auch wenn ich nicht dort in der Chemie gearbeitet habe, vergessen habe ich die Zeit nicht. Aber inzwischen sind andere Dinge wichtiger geworden", sagt die Frau, die die Bilder "faszinierend und sehr schön" findet. Tochter Anne kennt all das nur vom Hörensagen. "Ich finde es aber interessant", meint sie, die sich als Laienmalerin sehr für den Stil Schneiders interessiert.

Und der ist schon etwas ganz besonderes. Als "akribisch gemalt, nahe an der Fotografie" charakterisiert ihn Rosmarie Tischer. Und tatsächlich: Man steht vor dem Bild und ist versucht, mit dem Fingernagel am blätternden Rost der Rohrleitung zu kratzen. Doch geht es Schneider um viel mehr. Er will, dass der Betrachter "die Geschichte hinter der Geschichte" erkennt. Auf keinem der Industrie-Bilder ist ein Mensch zu sehen. Und doch: Wer sich auf sie einlässt, der erkennt die Geschichte. Sie erzählt von Menschen, die hier mit ihrer Arbeit Spuren hinterlassen haben. Sie erzählt von einstmals revolutionären Leitungen, von Können, von schwerer Arbeit, von Anstand und Würde und auch davon, dass alles letztlich nicht mehr gereicht, nichts mehr getaugt hat.

"Ich halte die Zeit fest, die zwischen der Auflösung des bestehenden Systems liegt und dem Nicht-Wissen, was da kommt. Eine angehaltene Zeit", sagt Schneider. "Bitterfeld, auch Slask, kann man nicht ohne politischen Hintergrund betrachten." Und: "Ich bin ein engagierter Maler. Ich mache keine Unterhaltung."

Letztlich entfalten die Bilder, die ja auch den maroden Charme der verlassenen Industrielandschaften zeigen, eine eigene Faszination. Auch deshalb, weil sie auffordern, Schneiders Gedanken aufzunehmen und einen Blick zurück zu werfen auf das, was mal war, und damit auf die eigene Lebensgeschichte. Sie rufen nicht nur Geschichten sondern auch Emotionen hervor. Unterschiedliche selbstverständlich. Aber unberührt lassen sie garantiert niemanden.

Nach 15 Jahren ist ein Teil des Bitterfeld-Zyklus, den er 1991 begonnen und 1997 in Bitterfeld gezeigt hat, wieder an bekannter Stelle zu sehen. Hinzu gekommen ist der Slask-Zyklus mit dem Eisenwalzwerk, das schon Adolph Menzel faszinierte. Hier geht Schneider der im Grunde genommen selben Frage nach: Was ist, wenn die Kohle nicht mehr glüht? "Es sind Bilder, die braucht der Markt nicht", sagt er nüchtern. Doch sind sie für ihn wichtig, weil er in diesen Motiven nach dem Leben selbst sucht. Und der Betrachter, der mit dem Herzen sieht, tut das auch.