Bahnhof Wolfen Bahnhof Wolfen: Die Zeit ist abgelaufen
Wolfen/MZ. - "Die Zeit für das Wolfener Bahnhofsgebäude ist abgelaufen", stellt Karin Klimek nüchtern fest. Zusammen mit Inge Eller wartet die 75-jährige Rentnerin auf den Bus und schaut auf die überdimensionierte Uhr im Eingangsbereich. Obwohl es noch früher Nachmittag ist, stehen die Zeiger auf 14.06 Uhr. Schon vor vielen Jahren sind sie stehen geblieben - wie so vieles an diesem Ort.
Eigentlich wollte die Stadt Bitterfeld-Wolfen dem roten Klinkersteingebäude wieder einen zeitgemäßen Anstrich geben. Daher erwarb sie es im Dezember 2009 und suchte seither händeringend nach Investoren. Einer fand sich auf Initiative der Fraktion Pro Wolfen dann auch. Doch bevor es losgehen konnte, war auch schon wieder Schluss. "Abgesprungen", heißt es aus der Verwaltung. Damit ist das Schicksal besiegelt und der "Abriss des Empfangsgebäudes" steht auf der nächsten Tagesordnung des Stadtrates am 11. Juli.
Damit werden voraussichtlich im Jahr 2013 dann auch viele Wolfener Erinnerungen eingeebnet. So wie die von Karin Klimek. "Meine Tante war hier bis 1945 Telegrafin", sagt sie. "Sie lebt heute in Amsterdam. Immer, wenn wir telefonieren, fragt sie mich: Was macht unser Bahnhof?"
Das sei über all die Jahre ein bestimmendes Thema gewesen, denn für die Menschen hier sei das Gebäude lange Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens gewesen. "Es haben ja alle in der Farben- oder Filmfabrik gearbeitet", meint Inge Eller. "Hier hat jeden Morgen eine Völkerwanderung stattgefunden. Auf dem einen Gleis kamen die Arbeiter aus Leipzig, Delitzsch und Bitterfeld an. Auf dem anderen aus Dessau, Raguhn und Jeßnitz."
Daran kann sich auch Uwe Kitzka (62) aus Raguhn erinnern. "In den 60er Jahren habe ich Elektriker in der Farbenfabrik gelernt", sagt er. "Man kann kaum beschreiben, was hier los war." Kurz nach fünf Uhr habe der Zug aus Dessau in Raguhn gehalten. "Da sind noch einmal 200 Menschen in den Partisanenexpress - so nannten wir die Züge damals - eingestiegen. In Wolfen sind dann die Massen nur so herausgeströmt. Kioske, Schnellimbisse und Restaurants - hier gab es alles."
Doch nach der Wende habe der Zahn der Zeit dem Gebäude immer mehr zugesetzt, meint Karin Klimek. Sicherlich auch ein Grund, weshalb nun die Stadt Bitterfeld-Wolfen aktiv wird. 20 000 Euro koste die Sicherung pro Jahr. Der Abriss wird mit 450 000 Euro veranschlagt. 80 Prozent würden davon gefördert. Doch das Zeitfenster dafürstehe nicht lange offen. "Ein zu langes Festhalten an der Idee der unbedingten Erhaltung des Gebäudes würde die kostengünstige Finanzierung des Rückbaus des Objektes wahrscheinlich unmöglich machen", heißt es in dem Beschlussantrag.
Zudem sei die gesamte Schnittstellenförderung in Frage gestellt. Daher empfiehlt die Verwaltung "den sofortigen Abriss des Bahnhofsgebäudes sowie eine Überarbeitung der Schnittstellenplanung" ohne das Gebäude.