Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Zwillinge führen seit 70 Jahren ihr Leben im Doppelpack
WOLFEN/MZ. - Ein bewegtes Leben im Doppelpack. Lacht Jutta, schmunzelt Anke. Weint Anke, tröstet Jutta. Fünf Minuten kam Anke Sommer früher auf die Welt. 300 Sekunden war die eine nicht für die andere da. Diesen Augenblick sollte es nie wieder geben. "Und wird es auch nicht", sind sich die Zwillinge sicher.
In Wolfen-Nord fühlen sie sich seit 30 Jahren zu Hause, lieben die Oper und Unterhaltung, haben sich eingerichtet mit ihren Stars der 50er, 60er und 70er Jahre. Bärbel Wachholz, Günter Geißler, Klaus Gross begleiten sie durch den Tag. Sie kennen alle ihre Hits. Der Plattenteller dreht sich und dreht sich. Einigen sind sie begegnet. Einem gehörte Anke Sommers Herz: Schlagersänger Klaus Gross. "Klaus war die Liebe meines Lebens", erzählt sie. "Wir haben uns verlobt und wollten heiraten." 1971 starb Gross bei einem Verkehrsunfall.
Es war eine schwere Zeit, erinnert sich Anke Sommer. Eine Zeit, die sie ohne Schwester Jutta kaum gemeistert hätte. Aber es gab auch schöne Zeiten, die nur eineiige Zwillinge erleben können. "Die haben wir natürlich genossen", lachen sie. "Wir sahen uns früher völlig ähnlich, trugen bis zum 15. Lebensjahr die gleichen Sachen. Niemand konnte uns auseinander halten." Zwei Kettchen, deren Anhänger ihre Anfangsbuchstaben zierten, sollten dies übernehmen. Doch wie schnell war das A gegen das J getauscht. Und so übernahm Jutta oft mündliche Prüfungen für ihre Schwester. "Es gibt immer eine dumme und eine schlaue Schwester", schmunzeln die Sommers. Sie meisterten die Schule, schlossen die Ausbildung zum Industriekaufmann ab, arbeiteten beide in der Filmfabrik. "So war das damals." Jutta Sommer sollte später aus der beruflichen "Zwillingslaufbahn" geraten. Sie wurde Veranstaltungsleiterin des Kulturhauses. Bekam Einblicke in die Welt der Musik und des Zirkus. Sie wachte neben einem Puma auf und bekam die Tatze eines Bären zu spüren, saß mit Frank Schöbel am Mittagstisch. All das bleibt unvergessen, sagt sie.
Nach Wolfen zu gehen, "war unser großes Glück". Doch einst seien sie todunglücklich gewesen, als es hieß, "wir ziehen nach Wolfen-Nord". Doch das Gefühl sei schnell in Freude umgeschlagen, als sie ihre gemeinsame Wohnung betraten. "Es war alles perfekt." Drei Mal sind die Schwestern innerhalb des Wohngebietes umgezogen. Weg wollten sie nie. Was die Sommers wurmt, ist, wenn Außenstehende ihr Zuhause als "sozialen Brennpunkt" bezeichnen. So etwas sagen nur Leute, die die Menschen hier nicht kennen.
Siegfried Trzoß hat sich gern auf Menschen aus Wolfen-Nord eingelassen, um sie kennen zu lernen. Und jetzt ist es so, sagt er über Jutta und Anke Sommer, als ob man sich jahrzehntelang vertraut ist. Der Schlagertexter und Buchautor bekam vor zwei Jahren Post von den Sommers. Seitdem sind sie ihm "lieb und teuer". Mittlerweile bestehe zu den Schlagerfans ein Vertrauensverhältnis. Die tägliche E-Mail kommt garantiert aus Wolfen-Nord, erzählt der Berliner. Kommt sie nicht, dann macht sich Trzoß Sorgen. "Er hat uns während unserer schweren Krebserkrankungen aus einem tiefen Loch geholt." Dafür danken ihm die Sommers. 70 Jahre alt werden die Schwestern im Dezember. Den Geburtstag werden sie zusammen feiern - wie die 69 vorher. Die Freude ist doppelt wie die Vorfreude, sagen sie. Die Vorfreude auf ein langes und vor allem gemeinsames Leben.