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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Geschichten wecken Gefühle

Von silke ungefroren 11.03.2012, 17:57

friedersdorf/Bitterfeld/MZ. - Ein Bilderbuchsonntag im Juni 1954. Eine junge Frau bereitet zu Hause das Mittagessen für ihre Familie vor: Ihr Mann und ihre Eltern sind auf der Wiese bei der Heuernte. Gestern hatte die Frau ihren letzten Arbeitstag im Farbstofflabor, denn sie ist schwanger. In fünf Wochen soll das Kind kommen.

An jenem Mittag ahnt die werdende Mutter nicht, dass sie noch am gleichen Abend einem kleinen Jungen das Leben schenken wird. Wie turbulent das Ganze abläuft, als ihr Mann sie im Handwagen drei Kilometer bis zur Entbindungsklinik karrt und dann alles ganz schnell geht, das erzählt Brigitte Petzold aus Altjeßnitz, Jahrgang 1933, in der Geschichtensammlung "Libellen im Wind".

Es handelt sich dabei um eine Anthologie des Vereins für Kultur und Lebenshilfe Bitterfeld rund um das Thema Liebe. Herausgegeben hat sie der Friedersdorfer Schriftsteller Peter Hoffmann, der gleichzeitig der Vorsitzende dieses Vereins ist. "Wir haben damals einen Schreibaufruf über unseren Verein hinaus gestartet", erzählt er im MZ-Gespräch. Rund 20 Autoren waren es am Ende, die ihre Texte über die Liebe einreichten.

So verschieden die Verfasser sind, so unterscheiden sich auch die Texte. "Es sind Geschichten von bekannten und professionellen Autoren wie Ingo Cesaro aus Kronach ebenso wie von Leuten, die nur gelegentlich schreiben", erklärt Hoffmann, dass es nicht ganz leicht gewesen sei, diese Gegensätze auch in Bezug auf Anspruch und Umsetzung zu vereinen. Sein oberstes Prinzip dabei allerdings: "Achtung vor jedem zu haben, der sich schreibend äußert und etwas in sich trägt, von dem er meint, dass es dem Leser etwas geben kann, dass es etwas in dieser Welt bewirkt." Das könne man nicht hoch genug anrechnen in einer Zeit des Umbruchs und der Hast, der Angst und des Zerfalls zwischenmenschlicher Beziehungen.

Dabei dürfte die Liebe ein Thema sein, das sich geradezu anbietet dafür. "Liebe ist das stärkste Gefühl, das wir empfinden können", sagte neulich ein bekannter Sänger. Und wie vielfältig Liebe gelebt werden kann, wird sehr eindrucksvoll in den Geschichten von "Libellen im Wind" vermittelt.

Gänsehaut bekommt der Leser, wenn er von der "Ersten Liebe" von Ursula Frotscher, Jahrgang 1931, erfährt. Nachkriegszeit, FDJ-Gruppe, Weihnachtsfeier. Ein erstes Zuzwinkern. Die junge Frau durchströmt ein Gefühl, das ihr neu ist - etwas anderes als Elternliebe eben. Ein Eintrag ins Tagebuch, den der Vater liest - und von Vertrauensbruch spricht. Doch irgendwann spüren die Eltern schließlich: Ihre Tochter ist glücklich. Sie akzeptieren den jungen Mann, und schnell schmilzt das Eis.

"42 Jahre glückliche Ehe sind aus dieser ersten Liebe geworden", schreibt die Autorin. "Wenn ich an den Anfang unserer Liebe, an diese zaghaften Annäherungen denke, durchströmt mich noch heute das gleiche freudig-erregte Gefühl wie damals. Die Erinnerung daran bewahre ich als etwas ganz Kostbares."

Weniger schön empfindet Antje Penk, Jahrgang 1974, ihre Erinnerungen an den ersten "richtigen" Kuss. Schon nachdem sie bei einem anderen jungen Pärchen beobachtet hat, wie "Der Kaugummi" seinen Besitzer wechselt, war ihr nicht wohl zumute. Und dann erst die eigenen Erfahrungen...

Ricarda Gehlken, Jahrgang 1976, sieht die Liebe als ein Samenkorn, "das durch die Luft fliegt und auf fruchtbaren Boden hofft". Und wie der Samen müsse sie genährt werden, brauche Wurzeln aus Vertrauen und Toleranz, Freiheit, um Luft zu bekommen, Erwiderung, um nicht auszutrocknen.

Ja, so verschieden die Autoren, so unterschiedlich die Geschichten. Doch sie haben eins gemeinsam: Sie wecken Gefühle beim Leser - bringen zum Schmunzeln oder Nachdenken, machen traurig oder heiter. Und erreichen genau das, was Initiatoren, Autoren und Herausgeber wollten: anderen Menschen etwas nahe zu bringen.

Illustriert ist das Buch, von dem seit der ersten Lesung im Dezember schon weit über 200 Exemplare verkauft worden sind, von Mitgliedern des Kunstvereins "Kreativ".

Zur Vervollständigung sei noch erwähnt, dass parallel zu dieser Anthologie eine ebensolche mit Texten von jungen Leuten des Wolfener Literaturzirkels erschienen ist. Auch diesen Zirkel leitet Peter Hoffmann. Herausgeber von "Flamme und Schlüssel" ist Attila Langhammer, der seit Bestehen der Gruppe 2004 Mitglied dort ist.

Die nächste Anthologie des Vereins für Kultur und Lebenshilfe soll zum Thema Humor zusammengestellt werden. Ein Schreibaufruf wird noch veröffentlicht.

"Libellen im Wind" ist erschienen bei Edition winterwork, ISBN: 978-3-86468-043-4, 12,90 Euro.