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Zwangsadoptiert in der DDR? Zwangsadoptiert in der DDR?: Die jahrelange Suche der Familie Böge: Wo ist Nancy?

Von Katharina Thormann 30.06.2018, 11:55
Die Kinderwiese auf dem Friedhof III in Bernburg: Doch eine Nancy Böge wurde hier nicht beigesetzt und auch nicht in einem eigenen Grab.
Die Kinderwiese auf dem Friedhof III in Bernburg: Doch eine Nancy Böge wurde hier nicht beigesetzt und auch nicht in einem eigenen Grab. e. pülicher

Bernburg - Die Zweifel wollen bei Familie Böge einfach nicht verfliegen. Starb ihre Tochter wirklich am 15. Februar 1980 im Bernburger Krankenhaus? Wenn ja, warum durfte niemand das drei Tage alte Baby noch einmal sehen, Abschied nehmen, geschweige denn beerdigen?

Seit heute weiß die Familie, die inzwischen in Dessau lebt, nichts über den Verbleib von Nancy. „Wir haben auch keinen Ort, kein Grab zum Trauern“, sagt Schwester Nadine Varnholt.

38 Jahre hatte die Familie dieses Erlebnis verdrängt. Bei einem Familienausflug zu Ostern kamen die schlimmen Erlebnisse vom Februar 1980 plötzlich wieder hoch.

Seitdem tippt Nadine Varnholt in jeder freien Minute E-Mails. An Archive, Ämter und das Ameos-Krankenhaus in Bernburg, um Antworten zu bekommen.

Antworten darüber, was damals wirklich geschah. Auch mit der leisen Hoffnung, ihre große Schwester könnte vielleicht noch leben, wurde möglicherweise zwangsadoptiert.

Die jahrelange Suche der  Familie Böge: Interessengemeinschaft „Gestohlene Kinder der DDR“

Kein Einzelfall. Immer mehr Mütter und Geschwister aus der ehemaligen DDR haben diesen Verdacht und sich bei der Interessengemeinschaft „Gestohlene Kinder der DDR“ zusammengetan, um nach ihren Angehörigen zu suchen.

Auch Nadine Varnholt steht mit den Verantwortlichen in Kontakt, holt sich Hilfe.

Auch wenn die 36-Jährige, die mittlerweile in Gütersloh lebt, noch ganz am Anfang ihrer Recherchen steht, so haben sich schon jetzt einige Ungereimtheiten aufgetan. Angefangen bei der Geburtsurkunde.

Denn laut der beglaubigten Abschrift des Dokuments, das sie vom Bernburger Stadtarchiv zugeschickt bekam, wurde die Geburtsurkunde bereits am 19. Januar 1980 ausgestellt, knapp einen Monat vor der Geburt.

Ein Tippfehler?

„Ich glaube nicht, denn der Monat wurde ausgeschrieben“, sagt die Schwester.

Die jahrelange Suche der  Familie Böge: Falsche Zahlen

Falsch ist auf dem Dokument auch eine andere Zahl. Und zwar der Zeitpunkt, an dem Nancy angeblich auf die Welt gekommen ist.

Laut dem Schreiben um 10.05 Uhr am Morgen. „Doch das kann nicht stimmen. Um diese Zeit war meine Mutter noch auf Arbeit. Erst nach dem Abendbrot hatte sie mein Opa ins Klinikum gebracht.

Am späten Abend kam dann meine Schwester als Frühchen zur Welt“, sagt Varnholt, die davon überzeugt ist, dass jede Mutter weiß, wann ihr Kind geboren wurde.

Vor allem, weil es auch das erste der damals 21-Jährigen war.

Die jahrelange Suche der  Familie Böge: Akten nach 30 Jahren vernichtet

Licht ins Dunkel konnte das Ameos Klinikum als Nachfolger des städtischen Klinikums bisher jedoch noch nicht bringen. Demnach werden alle Patientenakten konsequent nach Ablauf der gesetzlichen Frist von 30 Jahren vernichtet, hieß es in dem Antwortschreiben aus dem Klinikum.

Offen ist allerdings, ob auch die Aufnahmebücher geschreddert worden sind, in denen genau geschrieben steht, wann ein Patient im Klinikum aufgenommen wird und wann er es wieder verlässt.

„Wir werden dazu noch einmal in die Recherche gehen“, kündigte Julia Tarlatt, Sprecherin im Bernburger Klinikum, auf Nachfrage der MZ an.

Die jahrelange Suche der  Familie Böge: Kein Erfolg beim Kreisarchiv

Denn bis jetzt quält die Familie immer noch die Frage, was mit dem Baby tatsächlich passiert sein könnte.

Auch beim Kreisarchiv hebt man bei dieser Frage die Hände. Dort lagern zwar die Totenscheine samt Todesursache und Pathologieberichte aus den Gesundheitsämtern.

Aber auch dort gibt es keine Spur mehr von Nancy. Dort sind die 30 Jahre Aufbewahrungsfrist ebenso um.

Die jahrelange Suche der  Familie Böge: Kind niemals beigesetzt

Doch das ist kein Grund für Nadine Varnholt aufzugeben. Schließlich ist seit diesem Freitag zumindest klar: Nancy Böge ist niemals auf einem der Friedhöfe in Bernburg beigesetzt worden.

Das haben die Recherchen bei der Friedhofsverwaltung in den Friedhofsbüchern ergeben.

So taucht ihr Name weder für ein eigenes Grab auf, noch wurde sie einem anderen Verstorbenen beigelegt. Letzteres war üblich, wenn die Familie etwa kein Geld für die Bestattung aufbringen konnte.

„Aber meine Eltern wurden nicht einmal gefragt“, sagt Varnholt.

Die jahrelange Suche der  Familie Böge: Neue Spur führt nach Dessau

Ihre neue Spur führt nach Dessau. Denn das Protokoll über den Todesfall ihrer Schwester, das sie aus dem Landesarchiv erhielt, wurde mit dem Stempel der Kinderklinik Dessau versehen.

Wurde Nancy dort ohne das Wissen der Eltern obduziert und begraben oder vielleicht sogar weggegeben? Antworten darauf liegen noch im Dunkeln. (mz)

Ein Babyfoto von Nadine. Vielleicht erkennt sich ihre Schwester darin wieder.
Ein Babyfoto von Nadine. Vielleicht erkennt sich ihre Schwester darin wieder.
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