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Kriminalgeschichte "Das Leichenpuzzle von Anhalt": Bernd Kaufholz beschreibt Raubmord an 83-Jährige Frau 1988 in Bernburg

Von Torsten Adam 10.05.2019, 07:56
Die Wohnung an der Hohen Straße in Bernburg, in der 1988 die 83-Jährige umgebracht wurde.
Die Wohnung an der Hohen Straße in Bernburg, in der 1988 die 83-Jährige umgebracht wurde. Polizei

Bernburg - Das gewaltsame Ende einer 39-jährigen Frau, die im Juni 2018 in einer Wohnung an der Hohen Straße zu Tode gefoltert worden ist, hat nicht nur in Bernburg für Entsetzen gesorgt. Über das Schicksal der vier Tatbeteiligten wird der Bundesgerichtshof entscheiden.

Nur die Wenigsten wissen, dass dieselbe Straße bereits 30 Jahre zuvor Schauplatz eines Verbrechens war. Der damalige Raubmord an einer 83-Jährigen blieb weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Lediglich eine Kurzmeldung mit der Überschrift „Tötungsverbrechen wurde durch VP (Volkspolizei) schnell aufgeklärt“ war sechs Tage später im Lokalteil der „Freiheit“ zu lesen.

Die Tat ist eine von neun authentischen Kriminalgeschichten aus dem früheren DDR-Bezirk Halle, die der Journalist Bernd Kaufholz in seinem Buch „Das Leichenpuzzle von Anhalt“ erzählt.

Journalist Bernd Kaufholz recherchierte Kriminalgeschichten aus dem DDR-Bezirk Halle

Der pensionierte Kripobeamte Michael Warthemann kann sich noch lebhaft an den damaligen Fall erinnern. Der Kriminaloberleutnant ist der Erste, der den 47 Jahre alten Mörder vernimmt – und an dessen Alibi zweifelt.

Nach acht Glas Bier und acht doppelten Pfefferminzlikör will dieser an jenem Abend des 10. Februar 1988 seine beiden Arbeitskollegen vom VEB Serumwerk in der „Bauernstube“ verlassen und nach Hause in seine Wohnung an der Steinstraße gegangen sein – eine Lüge, wie sich in späteren Vernehmungen herausstellen wird.

„Den Namen des Mannes kannte ich aus der Kleinkriminellenszene Bernburgs. Er war auch deshalb verdächtig, weil er in Beziehung zum Opfer stand“, erinnert sich Warthemann. Bei Tötungsdelikten würden sich Täter und Opfer in der Regel kennen.

Der spätere Mörder erledigte oft klein Wege für gehbehinderte 83-Jährige

Klaus Bormann, so der fiktive Name des Mörders im Buch, erledigte des öfteren kleinere Wege für die gehbehinderte 83-Jährige, die wie seine Mutter im Mehrfamilienhaus an der Hohen Straße wohnte. Noch am Nachmittag des Mordabends bringt er für die Seniorin ein Paket zur Hauptpost.

Seine Tat fliegt auf, als seine Ehefrau am Abend des 13. Februar im Polizeirevier Meldung macht. Nach dem Geständnis ihres Mannes plagt sie das schlechte Gewissen. Das Kreisgericht erlässt Haftbefehl wegen Mordverdachts.

Am folgenden Morgen lässt sich Bormann, der sich gerade für die Arbeit fertigmacht, widerstandslos in seiner Wohnung festnehmen. Während einer erneuten stundenlangen Vernehmung verstrickt er sich in Widersprüche. Bis Kripo-Oberleutnant Wolfgang Constabel ihn in scharfem Ton auffordert: „Machen Sie wahrheitsgemäße Angaben.“ 

Weil er Geld brauchte, geht er in die Wohnung seiner späteren Opfers

Es wirkt. Der 47-Jährige legt ein Geständnis ab. Weil er Geld brauchte, habe er nach dem Umtrunk in der „Bauernstube“ sein späteres Opfer aufgesucht. Von einer Nachbarin hatte er gehört, dass die Rentnerin eine Menge Bargeld zu Hause aufbewahrt.

Gegen 19.45 Uhr erreicht er an jenem Donnerstagabend ihre Wohnung und schleicht sich durch das nicht verschlossene Küchenfenster ein. Da er sich gut auskennt, geht er zielgerichtet ins Schlafzimmer, durchsucht die Schubladen. Plötzlich steht die 83-Jährige im Türrahmen und ruft verwundert: „Was willst du denn noch hier?“ Dann sieht sie die geöffneten Schubladen und sagt wütend: „Das muss ich melden.“

Der ertappte Einbrecher würgt die alte Frau, bis sie sich nicht mehr bewegt

Den ertappten Einbrecher ergreift Panik. Er packt die alte Frau, stößt sie in ihrem kleinen Wohnzimmer zu Boden und würgt sie. Zwei, drei Minuten drückt er zu - bis sie sich nicht mehr bewegt. Der zum Mörder gewordene Einbrecher durchwühlt danach die komplette Wohnung nach Beute und verschwindet durch die Küchentür.

Während seiner früheren Botendienste hatte er die Seniorin schon mehrfach heimlich bestohlen. Schmuckketten, Armreifen, Silberbesteck, eine Damentaschenuhr und 70 Mark in Münzen gehören zum Diebesgut, das er hinter der Wäsche im Schlafzimmerschrank seiner Wohnung versteckt.

Angeblich ist es eine Notreserve für den Fall, dass ihn seine 15 Jahre jüngere Frau verlässt. Nachdem er ihr den Mord gebeichtet hat, deponiert das Paar die Beute in einem Gesamtwert von gut 4.000 Mark hinter einem Holzstapel im Keller. Dorthin führt die Ehefrau die Kriminalisten kurz vor der Festnahme ihres Mannes.

Bezirksgericht Halle verurteilt den Transportarbeiter zu 15 Jahren Haft

Im Mai 1988 verurteilt das Bezirksgericht Halle den Transportarbeiter wegen Mordes und mehrfachen Diebstahls zu 15 Jahren Haft. Der Staatsanwaltschaft ist dieses Urteil - wie im aktuellen Folter-Fall - zu milde, sie legt Berufung ein. Mit Erfolg. Das Oberste Gericht der DDR in Berlin verhängt im August 1988 eine lebenslängliche Freiheitsstrafe gegen Klaus Bormann.

14 Jahre später wird sein Gnadengesuch zu einem Politikum. Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) will diesem stattgeben, obwohl die Justiz nachdrücklich davon abrät. Der Regierungschef beugt sich schließlich dem öffentlichen Druck und lehnt das Gnadengesuch ab.

15 Jahre nach dem Mord wird der Täter aus der Haft entlassen

Dennoch kommt der Täter exakt 15 Jahre nach dem Mord frei, weil die Strafvollstreckungskammer entscheidet, ihn auf Bewährung zu entlassen. Am 10. Februar 2003 öffnen sich für den mittlerweile 62-Jährigen die Tore der Justizvollzugsanstalt Brandenburg in die Freiheit.

Die ausführliche Geschichte ist im Buch „Das Leichenpuzzle von Anhalt“ zu lesen. Bernd Kaufholz widmet dem Bernburger Raubmord unter dem Titel „Tödliche Hilfe“ 20 Seiten. Das Buch ist im Handel zum Preis von zwölf Euro erhältlich. (mz)

Buchautor Bernd Kaufholz bei seinen Recherchen vor dem Bernburger Polizeirevier an der Franzstraße.
Buchautor Bernd Kaufholz bei seinen Recherchen vor dem Bernburger Polizeirevier an der Franzstraße.
Kaufholz
Die Frau des Mörders zeigt das im Keller versteckte Diebesgut.
Die Frau des Mörders zeigt das im Keller versteckte Diebesgut.
Polizei