Bernburg Bernburg: Mit 3-D-Brille ins letzte Art déco-Kino in Deutschland
Bernburg - Zweiflügelige Schwingtür, goldenes Geländer, rote Sessel. Es duftet nach Popcorn. Glänzendes Holz und filigrane Schmuckelemente aus hellem Gips rahmen die riesige Leinwand ein, die auf einer Bühne zu stehen scheint. „Hier war einmal ein Orchestergraben“, sagt Gonnie van de Merwe und zeigt vor sich auf den Bühnenboden. Plätze gibt es daher auch im Rang, eine Bar ist ebenfalls im Saal. Van de Merwe betreibt das Capitol in Bernburg und sagt: „Es ist das letzte Art déco-Kino in Deutschland.“ Im kommenden Jahr feiert es seinen 90. Geburtstag.
Eröffnet wurde das Kino in der Weimarer Republik. Zum Start am 14. November 1927 sahen 560 Gäste den Stummfilm „Der Meister von Nürnberg“. Die Musik lieferte das Hausorchester aus dem Orchestergraben heraus. „Es gab auch Bühnenzimmer rechts und links und verschiedenfarbige Vorhänge“, sagt die gebürtige Niederländerin Van de Merwe. Damals wie heute präsentiert sich das Kino wie ein Theater. Elegant und prächtig. Vor dem Filmstart ertönt ein Gong.
Seit 2010 ist Van de Merwe Geschäftsführerin im Bernburger Capitol. In den fast 90 Jahren seines Bestehens wurde das Kino mehrfach umgebaut, 1960 verschwand beispielsweise der Graben für das Orchester. Geblieben ist das Art déco-Flair. Das Team ist heute fünfköpfig, zu DDR-Zeiten waren es siebenmal so viele. Beschäftigt wurden damals noch Platzanweiser und Heizer.
„2009 kam ich mit meiner Tochter in das Kino, um abzuschalten“, erzählt die 62 Jahre alte Betreiberin. Van de Merwe und ihre Familie waren gerade umgezogen und im Stress. An der Kinotür klebte ein Zettel: „Kino zu verkaufen“. „Ich habe mit meinem Mann gesprochen, weil ich so begeistert von diesem Ambiente war“, sagt Van de Merwe. So etwas, sagt sie, müsse man erhalten und bewahren.
Das digitale Kino
Das Ehepaar kauft - für wieviel wird nicht verraten - und fängt an, zu investieren. „Dach, Toiletten, Fenster und die Digitalisierung 2012. Das hat viel Geld gekostet.“ Seitdem haben die durchschnittlich 33.000 Besucher im Jahr auch 3D-Brillen auf der Nase und satten Sound im Ohr. Wer ins Capitol kommt, schätzt laut Van de Merwe vor allem, dass das Kino so klein ist. Neben dem großen Art déco-Saal mit 340 Plätzen gibt es noch ein klitzekleines Clubkino für 45 Zuschauer. „Eine gute Vorstellung ist, wenn im großen Saal die Hälfte der Karten verkauft sind“, sagt Maik Erdmann. Der 45-Jährige leitet das Kino seit 2003.
Im übersichtlichen Kinoprogramm läuft immer etwas Aktuelles. Wenn Platz ist, sagt Erdmann, schafft es auch mal ein Nischenfilm auf die Capitol-Leinwand. „Wir versuchen, Anspruch und Trend zu verbinden.“ Zusammen mit einem externen Disponent sucht er die Filme aus und verhandelt mit Verleihern. „Und die bestehen auf die Vorstellung, auch wenn gar keiner drin sitzt“, sagt Erdmann.
Dann steigt Erdmann eine schmale Treppe hinauf ins Dachgeschoss. Was früher mal die Welt von Filmrollen und Filmtellern war, ist heute die des Digitalen Kinos. Nach dem Gong startet Erdmann auf dem Laptop den Film. Ein Mausklick, mehr Handgriffe braucht es nicht mehr. Der summende Projektor wirft sein Bild durch eines der vier schmalen Fenster hinunter auf die Leinwand im Saal, die Tonanlage wummert. Ohne die Digitalisierung, sagt Erdmann, wäre das Capitol nicht mehr da. Art déco hin oder her.
2015 war nach Angaben der Filmförderungsanstalt ein Rekordjahr für die knapp 1650 deutschen Kinos. Demnach seien 29,9 Millionen Menschen ab zehn Jahren mindestens einmal im Kino gewesen - rund 2,9 Millionen mehr als 2014. Auch im Bernburger Capitol kamen mit rund 40.000 Jahresbesuchern mehr als sonst. Weil es gute Filme gab, sagt Erdmann. Und trotzdem: Deutschlands Kinolandschaft dünnt immer mehr aus. 2002 gab es den Angaben zufolge noch rund 200 Filmtheater mehr als in diesen Tagen. (dpa)