Zweiter Weltkrieg in Aschersleben Zweiter Weltkrieg in Aschersleben: Arbeitskreis verlegt neue Stolpersteine
Aschersleben/MZ - Der Bohrer ein paar Meter weiter drang offenbar durch eine dicke Wand. Ein Bagger fuhr die Douglasstraße hoch und runter. Udo Stephan vom Arbeitskreis „Geschichte jüdischer Mitbürger in Aschersleben“ hatte am Donnerstag alle Mühe, sich mit seiner Stimme gegen den Lärm der Straße durchzusetzen. Dabei war das, was er anlässlich der Einbringung dreier neuer Stolpersteine vor dem ehemaligen Haus des Bankiers Paul Gerson zu sagen hatte, durchaus wichtig.
„Wer die Geschichte nicht kennt, ist gezwungen, sie zu wiederholen.“ Das hatte der amerikanische Philosoph George Santayana bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts gesagt. Damals war an einen solchen Krieg, wie ihn vor allem Europa 40 Jahre später erlebte, noch nicht zu denken. Nun zitierte Lars Bremer, ebenfalls Mitglied des Arbeitskreises, den Gelehrten, um auszudrücken, warum die Aufarbeitung der Geschichte so wichtig ist. Bremer nahm nicht zuletzt deswegen seinen erst fünfjährigen Sohn mit zu diesem Termin.
Gerson und seine Familie wurden wie so viele Juden auf die eine oder andere Art Opfer des Faschismus. Um diesen Bürgern Ascherslebens zu gedenken, hatten sich mehr als zehn Geschichtsinteressierte der Stadt vor dem Haus versammelt. Während Patienten die dortige Hausarztpraxis besuchten, erzählte Udo Stephan aus dem Leben derer, die sich nun mit ihren Namen auf einer Messingplatte verewigt wissen dürfen.
Dora Gerson wurde 1884 geboren. Sie studierte Medizin, arbeitete als Assistenzärztin in Köln und als Oberärztin in Dresden. Dort war sie auch Kontrollärztin der Polizeidirektion. Sie hatte eine Frauensprechstunde und war Beratungsstelle für Geschlechtskranke. Sie setzte sich vor allem für Patienten aus den ärmeren Bevölkerungsschichten ein. 1935 wurde ihr die Arbeitserlaubnis entzogen, 1941 flüchtete sie in den Tod.
Luise Gerson kam 1886 zur Welt. Sie war gebildet, sprach mehrere Sprachen, blieb aber - wie damals üblich in bürgerlichen Familien - zu Hause und kam gesellschaftlichen Verpflichtungen nach. Während des Ersten Weltkrieges betreute sie verwundete Frontsoldaten. Sie heiratete den Staßfurter Bankbeamten Fritz Hagedorn, zog nach Hannover. Sie tauchte unter und überlebte. 1975 verstarb sie in Nürnberg.
Rudolf Gerson, geboren 1890, schlug eine militärische Laufbahn ein und studierte nach dem Ersten Weltkrieg Jura. Er wurde Amtsgerichtsrat, heiratete Erna Stein aus Aken. 1932 kam Tochter Dora zur Welt. 1935 wurde er aus dem Dienst entlassen. 1938 musste er nach Buchenwald in sogenannte Schutzhaft. Nach zehn Tagen wurde er umgebracht. Seine Frau und Dora überlebten dank vieler Helfer den Krieg.
Es sind die Stolpersteine 18, 19 und 20, die der Arbeitskreis mittlerweile an verschiedenen Stellen der Stadt in den Boden einbringen lassen hat. Im vergangenen Mai erst wurden Steine der Erinnerung vom Kölner Künstler Gunter Demnig persönlich am Promenadenring eingebracht. Seither befinden sich dort mehrere Mahnmale, vor allem von der Familie Spanier. „Sie wurde fast völlig ausgerottet“, weiß der Chef des Arbeitskreises, Udo Stephan.
Weitere Stolpersteine geplant
Zwar waren damals schon die Stolpersteine von Dora, Luise und Rudolf - drei der insgesamt sechs Kinder, die der Bankier Gerson hatte, bereits fertig, allerdings wollte man noch bis zur Fertigstellung der Douglasstraße warten. Dort sind mittlerweile die Gehwege mit Mosaikpflaster fertig. Uwe Müller von der zuständigen Baufirma brachte diese nun am Donnerstag in den Boden ein.
Die Arbeit der Mitglieder ist damit aber noch nicht beendet. Im kommenden Jahr sollen weitere Stolpersteine gesetzt werden. Welche Biografien damit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt werden, das wollte Udo Stephan noch nicht verraten. Wohl aber, dass es auch ein Buch geben soll, das sich mit dem Schicksal jüdischer Bürger in Aschersleben beschäftigten wird.