Schweigen im Mini-Callcenter Schweigen im Mini-Callcenter: Harte Landung nach Anfangseuphorie

Aschersleben - Vor einem Jahr war Steffi Krause glücklich. Nach acht Jahren Arbeitslosigkeit fand die Ascherslebenerin endlich Arbeit. Auf dem Holzmarkt in ihrer Heimatstadt hatte die Firmengruppe Invitel ein Mini-Callcenter, einen sogenannten MicroUnit, eröffnet.
Zusammen mit sechs Kolleginnen hatte sie am 29. Mai den ersten Arbeitstag.
Den ganzen Tag wurden Telefonate geführt. „Telekom-Kunden, die eine Störung hatten, haben angerufen. Wir haben Störungsbegleitung gemacht“, erzählt sie.
Jetzt ist sie wie am Boden zerstört. Noch vor ein paar Wochen wurde das einjährige Bestehen ihrer MicroUnit am Holzmarkt gefeiert.
„Da waren unsere Kündigungen schon geschrieben, die hatten das Datum vom 29. Mai.“ 27, mit der Teamleiterin sogar 28 Mitarbeiter erhielten die Kündigung zum 30. Juni.
Schweigen im Mini-Callcenter: Es war ein toller Anfang
Dabei hatte alles so toll angefangen. Im August 2017 wurde die Idee der MicroUnits sogar der Presse vorgestellt.
Da es schwieriger werde, für die vielfältigen Projekte Personal zu finden und in Großstädten die Leute knapp werden, entstand die Idee der MicroUnits in der Fläche, hatte Firmeninhaber und Geschäftsführer Burkhard Rieck gegenüber der MZ damals gesagt.
Mitarbeiter, die im Mindestlohnbereich arbeiten, seien teilweise nicht mobil und können keine längeren Fahrtwege in Kauf nehmen, so dass die Idee kam, „die Arbeit zu den Menschen zu bringen“, zitierte die MZ Rieck damals.
Schweigen im Mini-Callcenter: Ein Erfolgsbeispiel?
Anja Huth, die Chefin der Arbeitsagentur in Bernburg, lobte vor einem Jahr Invitel als Beispiel dafür, wie berufliche Integration gelingen kann.
„Ein Erfolgsbeispiel“, zitierte sie die MZ 2017. Und wenn mal ein Kunde wegbreche - dafür hätten die Firma mehrere Standbeine, habe es damals laut Steffi Krause geheißen.
Schweigen im Mini-Callcenter: Nur noch Kopfschütteln
Steffi Krause schüttelt mit dem Kopf, wenn sie an den damaligen MZ-Bericht denkt.
Sie ist 50 Jahre alt und war froh über den Job. Ein Jahr hat sie jetzt wieder gearbeitet und damit zumindest wieder Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben. „Das ist das einzig Positive.“
Die Mitarbeiterinnen, laut Krause waren sie bei dem Tochterunternehmen „Simon und Focken“ angestellt, hätten gemerkt, dass es weniger zu telefonieren gab.
Sie hätten im Team befürchtet, dass sie vielleicht ein paar Leute weniger werden könnten. Aber dass gleich alle entlassen werden, damit hätten sie nicht gerechnet.
Schweigen im Mini-Callcenter: Es gab sogar noch einen Bonus
Merkwürdig sei jedoch gewesen, dass es im Juni noch einen Bonus von drei Euro auf den Stundenlohn gegeben haben soll - für diejenigen, die zur Arbeit kamen und sich nicht krank gemeldet hatten. „Erst brauchen sie uns nicht und dann das...“
Für die Meldung beim Arbeitsamt wären sie nicht freigestellt worden, „das waren Minuszeiten“.
Am meisten habe sie geärgert, dass es keine Kommunikation gegeben habe. „So abgekanzelt zu werden, das ist heftig.“
Die Kolleginnen, alle aus der Region um Aschersleben, sind zwischen 20 und 55 Jahre alt, schätzt die Ex-Mitarbeiterin.
Schweigen im Mini-Callcenter: Weißenfels und Köthen zu
Auf der Internetseite der Unternehmensgruppe wird in einem der letzten Beiträge im Januar 2018 ein positives Fazit von einem Jahr der „bahnbrechenden Idee der MicroUnits“ gezogen und auf die Nominierung mit einem Branchenpreis hingewiesen.
Im Februar berichtete die MZ von einer Erweiterung des Standortes in Weißenfels, einem von neun Standorten in Sachsen-Anhalt und Thüringen, von 15 auf 30 Mitarbeiter.
Schweigen im Mini-Callcenter: Antwort erst nach einer Woche
Zu den Gründen der Schließung der MicroUnit in Aschersleben antwortete Burkhard Rieck nach einer Woche.
„Wir haben unter einigem finanziellen Aufwand unsere Mietflächen auf eigene Kosten hergerichtet und hatten in der Planung, unser Geschäft am Standort langfristig zu betreiben. Leider haben wir bei einem unserer Auftraggeber ein stark rückläufiges Geschäft zu verzeichnen. Dies zwingt uns, uns in unseren Kapazitäten anzupassen“, erklärt Geschäftsführer Rieck.
Nicht nur Aschersleben, auch die Standorte Weißenfels und Köthen mussten zum 30. Juni geschlossen werden.
Schweigen im Mini-Callcenter: Konzept weiter erfolgreich?
An den größeren Standorten des Unternehmens habe die Personalsituation angepasst werden müssen.
„Wir versuchen mit aller Kraft, die fehlenden Arbeitsmengen durch neue Aufträge zu kompensieren.“
Das sei bereits gelungen, 200 Mitarbeiter wurden in andere Projekte übernehmen. Das Konzept der MicroUnits sieht Rieck weiter als erfolgreich an. „Wir werden diese Strategie weiter verfolgen.“
Schweigen im Mini-Callcenter: Agentur hilft betroffenen Mitarbeitern
„Die Ansiedlung von Invitel war auch eine Chance für den Salzlandkreis und seine Bewohner“, bedauerte Heike Wunschik, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit in Bernburg, die Schließung des Call-Centers, das auch den Einstieg von Quereinsteigern zuließ.
Die Agentur sei jetzt aktiv für die betroffenen Menschen da. „Wir bieten zum Beispiel die Unterstützung bei Bewerbungsaktivitäten oder wenn Qualifizierungsbedarf besteht.“
Schweigen im Mini-Callcenter: Förderung bis zu 50 Prozent
Auf die Frage, ob Invitel Zuschüsse der Agentur erhalten hat und in welcher Höhe, antwortete Wunschik aus „datenschutzrechtlichen Gründen“ nicht detailliert.
Eingliederungszuschüsse bis zu 50 Prozent des Arbeitsentgeltes könnten für maximal zwölf Monate gezahlt werden, sagte sie. Schwerbehinderte werden besonders gefördert.
Für die Qualifizierung und zur Anbahnung von Beschäftigungsverhältnissen können Zuschüsse gewährt werden.
Steffi Krause, die einst Telegraphistin gelernt hatte, hofft nun wieder auf einen neuen Job in der Nähe. „Für einen Mindestlohn nach Magdeburg fahren, da kommt unter dem Strich nichts raus zum Leben.“ (mz)