Salzlandkreis Salzlandkreis: Großer Bahnhof auf dem Bahnhof
ASCHERSLEBEN/MZ. - "Ach", winkt Christel Hellmund ab, "ich hab nicht mehr stehen können." Zwischen Bahnschranke und Laternenpfahl, keine hundert Meter vor ihrem Haus, sitzt sie geduldig auf dem mitgebrachten Stuhl und harrt der Dinge, die da noch kommen. Auf eine Szene wartet die Schneidlingerin schon seit Stunden; die, in der Nina Hoss mit dem Fahrrad am Bahnhof ankommt. Angekommen ist die Schauspielerin zwar längst, aber der Drehplan sieht vor, dass sie erst später radelt.
Hellmund hat recht schnell mitbekommen, dass es beim Film - selbst wenn alles nach Zeitplan läuft - manchmal etwas länger dauert und es sich kurzerhand bequem gemacht. Direkt neben ihrem Mann Friedrich Wilhelm. Bei ARD und ZDF sitzt man in der ersten Reihe. Und das Ehepaar lässt sich das nicht mal bei den Dreharbeiten zur neuen ZDF-Kino-Koproduktion "Barbara" nehmen. Auf ihrem Posten sind sie mittendrin statt nur dabei. "Alles haben wir heute schon durch", sprudelt es fröhlich aus Christel Hellmund heraus. Warten. Zuschauen. Fürs Drehteam den Wartburg 311 vorfahren. Warten. Zuschauen. Erinnerungsfotos schießen. "Wir haben Frau Hoss gefragt und sie hat sich gleich mit uns fotografieren lassen", erzählt sie, den Drehort, den alten Bahnhof von Schneidlingen, nicht aus dem Auge lassend. Gerade passiert nichts. Warten. Die Filmcrew macht Mittag, nachdem die ersten Sequenzen - unter anderem die mit den Kindern aus der Grundschule Hecklingen - im Kasten sind.
Sequenzen für das 100-minütige Vorwende-Drama - Fertigstellung Februar 2012, Kinostart etwa ein Jahr später -, das ansonsten in und um Kirchmöser (Stadt Brandenburg) und das Ostseebad Ahrenshoop produziert wird.
Hauptdarstellerin ist Nina Hoss. Sie mimt Barbara, eine Ärztin, die einen Ausreiseantrag gestellt hat und nun strafversetzt wird. Sommer 1980. Raus aus der Hauptstadt, rein in die tiefe Provinz, in ein kleines Krankenhaus weitab vom Schuss. Aufmerksam den Patienten, distanziert ihren Kollegen gegenüber, kommt sie ihrer Arbeit in der Kinderchirurgie nach. Anteilnahmslos. Weder die neue Arbeit noch die neue Wohnung, die neuen Nachbarn noch der Sommer und das Land berühren Barbara sonderlich. Ihre Zukunft fängt später an. Sie wartet darauf, endlich fliehen zu können, denn Jörg, ihr Geliebter aus dem Westen, organisiert momentan ihre Flucht. Nur Chef André verwirrt sie. Sein Vertrauen in ihre beruflichen Fähigkeiten, seine Fürsorge, sein Lächeln. Ist er auf sie angesetzt? Ist er verliebt? Barbara beginnt die Kontrolle zu verlieren. Über sich. Über ihre Pläne. Über die Liebe.
Aber nichts von all dem bekommt man in Schneidlingen mit. "Hier entstehen verschiedene Bilder - Wege, die sie zurücklegt - für drei Tage im Film", erklärt Barbara Pilling, Assistentin der Aufnahmeleitung. Der seit Jahren stillgelegte Bahnhof sei geradezu prädestiniert. Und in der Tat fühlt man sich angesichts des maroden Charms drei Jahrzehnte in die Vergangenheit katapultiert. Die Requisite tut ihr Übriges. Diamant-Räder stehen im überdachten Fahrradständer. Daneben ist eine Simson geparkt. Und an der Giebelseite des Gebäudes ein grüner Trabant. Christian Schulz vom Filmfahrzeugverleih in Dessau reißt, bevor es weitergeht, den improvisierten Nummernschild-Aufkleber ab und tauscht die bis dahin verdeckten amtlichen SLK-Kennzeichen gegen alte. Stilecht. Allmählich trudeln die Komparsen ein, DDR-ausgehfein zurechtgemacht, laufen sie den Bahnsteig entlang und "mit Optimismus in die Zukunft". Und zum wer-weiß-wie-vielten Mal wird das "Ferkeltaxi", ein historischer Schienenbus, in den Bahnhof geschoben.
Regisseur Christian Petzold geht den Drehort auf und ab, sein prüfender Blick schweift über die Szenerie. Dann gibt er noch ein paar letzte Anweisungen zum "Verhalten", wenn erst mal die Kamera läuft. "Ich finde es immer blöd, wenn die Leute nur einsteigen, aber keiner aussteigt", meint er. Also, einsteigen, aussteigen, gehen, stehen. Jeder weiß, was er wo zu tun hat, als die Hauptdarstellerin das Set betritt. Die muss gleich noch in die Pedale treten. Christel Hellmund wartet schon.