Quedlinburger Stadtbefestigung Quedlinburger Stadtbefestigung: Gespanne rumpelten einst durch die Stube
Quedlinburg/MZ. - "Am Tag darauf hingen bis zu zwei Meter lange Eiszapfen an der Außenwand des Turmes", erinnert sich Theo Gosselke an die Geschehnisse in winterlicher Kälte. Der Mitarbeiter der Abteilung Baudenkmalpflege der Kreisverwaltung war vom Eigentümer, einem jungen Quedlinburger, um Fachberatung bei der denkmalgerechten Sanierung des Wasserschadens gebeten worden. "Es musste alles rausgerissen werden", erklärte Gosselke. Hinter dem feuchten Gipskarton im Erdgeschoss offenbarte sich jedoch eine Überraschung - eine zugemauerte Tordurchfahrt, deren Umrisse jedoch deutlich zu erkennen sind. "Der Kaiserturm war also nicht nur ein Teil der mittelalterlichen Wehranlage, sondern ein Zugang zur Stadt", macht Gosselke deutlich. Ein bislang nicht bekanntes Tor zur Neustadt, unterstreicht Kreisarchäologe Dr. Oliver Schlegel: "Und damit das siebte Quedlinburger Stadttor."
Dort, wo heute vom Eingangsraum die Wohnstube und das Bad des Eigentümers abzweigen und die Treppe in die oberen Etagen führt, holperten sehr wahrscheinlich Ochsenkarren und Pferdegespanne in Richtung Kaiserstraße. Künftig soll der Torbogen nicht wieder verdeckt werden, sondern sichtbar bleiben. Diese bauhistorisch wie stadtgeschichtlich gleichermaßen bedeutsame Überraschung blieb jedoch nicht die einzige Entdeckung in den freilegten Sandsteinmauern. In einigen der Blöcke entdeckten Gosselke und Schlegel tiefe Rillen oder kreisrunde Vertiefungen. An sich nichts Ungewöhnliches - in Quedlinburg findet man diese allerdings vor allem an Sakralbauten, wie beispielsweise der Nikolaikirche. "Es gibt dafür zwei mögliche Erklärungen", sagt Theo Gosselke: Entweder schabte man im Mittelalter Sandstein aus den geweihten Kirchenmauern, um ihn als Medizin zu benutzen, oder aber es wurden die Klingen der Waffen an den Steinen geschliffen. Der Aberglaube soll den Schwertern und Messern dann quasi göttliche Schärfe und somit Überlegenheit im Kampf beschert haben.
Die Schleifspuren im Kaiserturm schließen göttlichen Beistand jedoch aus, hier ging es wohl tatsächlich nur um scharfe Klingen. Bislang unerklärlich, so Schlegel, seien jedoch die kreisrunden Schleifspuren.